Freitod - Weblog zum Selbstmord
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Schmidt, Friesenblut

Außer ihm hielt sich nur ein älteres Paar auf dem oberen Deck auf. Beide trugen Gummistiefel und Friesennerze, obwohl es nicht einmal nieselte. Eingefleischte Föhr-Fans, die seit vierzig Jahren jeden Herbst auf der Insel verbrachten, der Stille und Einsamkeit wegen. Gründe, aus denen man auch Selbstmord begehen konnte. (Olaf Schmidt: Friesenblut, S. 23)


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Stadler, Sehnsucht

Ich hatte noch vor Knötzele bemerkt, daß ich ein Geisterfahrer war, ein richtiger Geisterfahrer auf der Gegenfahrbahn. Kötzele schien nichts zu bemerken und bot seine ganze Autorität gegen uns auf, damit ich weiterfuhr. Und ich sagte mit dem Respekt vor einem Ex-Feldwebel, Älteren, Fahrlehrer, Säufer und Träumer: "Herr Feldwebel, es kommen Fahrzeuge entgegen!" Aber er beharrte auf diesem Weg. "Du fährst weiter!" Vielleicht wußte er genau, wo er war, und er war ein vertuschter Selbstmörder, der Angst davor hatte, alleine zu sterben. Einer von jenen, die andere dabeihaben wollten und mit sich in den Tod rissen. Es ehrt mich, daß er sich möglicherweise mich ausgedacht hat, dabeizusein, und daß er auch mich dabeihaben wollte. (Arnold Stadler: Sehnsucht. Versuch über das erste Mal, S. 177)


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Lobo Antunes, Einblick in die Hölle

"Warum bringen sich Menschen um?" ließ er nicht locker. Seine angstvolle Frage, die mir schriller Kinderstimme ausgesprochen wurde, erinnerte mich an die Zeit, in der ich mich mit vierzehn oder fünfzehn Jahren verzweifelt vor grollender Einsamkeit auf mein Bett legte. (Antonio Lobo Antunes: Einblick in die Hölle, S. 247)


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Roth, Professor der Begierde

Als Arthur sah, daß ich ein womöglich noch mutloseres Gesicht machte als gewöhnlich, kam er herein und tat bis drei Uhr morgens sein Bestes, mich von den wahnsinnigeren Lösungen abzuhalten, die einem kreuzunglücklichen Ehemann, der nicht die Kurve kriegt, nach Hause zu gehen, in den Sinn kommen können. (Philip Roth: Professor der Begierde, S. 150)


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Walser, Der Räuber

Dann löste sich ja eine Stadtbekanntheit seinetwegen in Nichts auf, indem sie den Gashahn wie unabsichtlich, wie aus Zerstreutheit öffnete, wonach sie umfiel und den Tod fand. (Robert Walser: Der Räuber, S. 37)


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Maron, Ada und Evald

Der Selbstmörder liegt in den Armen des Predigers. Der Prediger spielt mit dem Strick des Selbstmörders, zieht ihn eng, lockert ihn wieder, zieht ihn wieder eng. Selbstmörder: Meinst du, heut wäre ein guter Tag. Prediger: Dafür ist jeder Tag gut. Selbstmörder: Ich möchte einen besonders guten. Prediger: Der beste ist der, an dem man glücklich ist. Das beweist Größe. Selbstmörder: Wenn ich glücklich bin, muß ich mich nicht aufhängen. Prediger: Das beweist: Du hast keine Größe. Selbstmörder: Außerdem bin ich nie glücklich. Prediger: Da kannst du dich gleich aufhängen. Selbstmörder: Jetzt? Prediger: Jetzt. Selbstmörder: Jetzt bin ich sehr unglücklich. Jetzt hätte es keine Größe. Prediger: Vielleicht kommt morgen schon der Krieg, und dann wirst du eine Leiche wie alle andern. Selbstmörder: Das wäre schrecklich. Prediger: Also jetzt. Der Prediger zieht den Strick fest um den Hals des Selbstmörders. Der Selbstmörder springt plötzlich auf und schreit: Mörder. Mörder. Er reißt sich den Strick vom Hals, legt ihn dem Prediger um und will die Schlinge zuziehen. Er zerrt den Prediger am Strick durch die Kneipe wie eine Ziege. (Monika Maron: Ada und Evald)


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Bernhard, Korrektur (3)

So fragen wir uns immer, wenn wir zwei Menschen sehen, die zusammen sind, gar soch verheiratet haben, wie diese zwei Menschen zu solcher Entschiedenheit und Handlung gekommen sind, daß es sich ja um die Natur handle, sagen wir uns, daß es sehr oft zwei Menschen sind, die nur zusammengegangen sind, um sich mit der Zeit umzubringen, früher oder später umzubringen, sich jahrelang und jahrzehntelang gegenseitig zu martern, um sich schließlich doch umzubringen, die, obwohl sie wahrscheinlich ihre gemeinsame Marterzukunft schon ganz klar sehen, doch zusammengehen, sich gegen alle Vernunft, als ein Naturverbrechen, Kinder in die Welt setzen, die dann die unglücklichsten sind, die sich denken lassen, wir haben dafür, wo wir hinschauen mögen, Beweise, so Roithamer. (Thomas Bernhard: Korrektur, S. 313)


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Bernhard, Korrektur (2)

Überhaupt waren wir, wie immer die Kinder in solchen sogenannten weltabgeschiedenen Gegenden, sehr früh schon mit dem Selbstmord konfrontiert gewesen, das permanent in solchen Gegenden herrschende Unglück des Einzelnen und dadurch allgemeine Unglück hatte jährlich zu Dutzenden Selbstmorden in kleinstem Umkreis geführt, auch aus den bedrückenden Wetterzuständen im Vorgebirge heraus, hier neigten sie alle immer zum Selbstmord, weil sie immer glaubten, ersticken zu müssen in der Tatsache, ihre Position durch nichts ändern zu können, jeder war sich dieser Benachteiligung durch die Geburt in dieser Landschaft bewußt. (Thomas Bernhard: Korrektur, S. 146)


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Bernhard, Korrektur (1)

Die Neigung zum Selbstmord als Eigenschaft eines solchen Charakters wie des Charakters meines Vetters, der sich am Ende in die Felsspalte gestürzt hat, nicht auf andere Weise umgebracht hat, zuerst hinauf in das Hochgebirge, um sich in die Tiefe der Felsspalte hinunterzustürzen, so Roithamer. Weil er so oft darüber gesprochen hat und mit solcher Hingabe und mit solcher Wissenschaftlichkeit gleichzeitig, hatten sie nicht mehr geglaubt, daß er tatsächlich Selbstmord machen wird, denn wer soviel darüber spricht wie unser Vetter, wie übrigens auch die andren, wie sein Vater beispielsweise immer und mit immer klarerem Kopf, der bringe sich schließlich nicht um, im Gegenteil, denn ein solcher mache sich in seinem Kopf den Selbstmord ununterbrochen klar und mache dadurch nicht Selbstmord, durch dieses Klarmachen in seinem Kopfe und fortwährende Fähigkeit zur Analyse einer solchen Klarheit, könne er ganz einfach nicht mehr Selbstmord begehen, weil er sich den Selbstmord immer klarmache, was ihn im Grunde abstoßen mußte, gelänge einem solchen überhaupt nicht mehr, alle möglichen Argumente, alle möglichen Grunde, alle möglichen Verneinungen führten zu allem, meistens in eine Todeskrankheit hinein, nicht zum Selbstmord, so Roithamer, denn alles sei am Ende immer wieder in einem Kopfe gegen die Selbstvernichtung, es sei aber doch auffallend, mit welcher Regelmäßigkeit ein solcher über den Selbstmord und über die Selbstvernichtung rede, das Thema lasse ihm keine Ruhe, verzerre seinen Verstand, den er dann immer wieder klarmache, aber auffallend ist an unserem Vetter doch gewesen, so Roithamer, daß er nach seiner Verehelichung mit der Kirchdorfer Arzttochter beinahe ununterbrochen von Selbstmord redete, was aber nicht ernstgenommen worden war, so Roithamer, kein Mensch hatte mehr Angst, er begehe Selbstmord, weil er andauernd vom Selbstmord redete, als redete er über einen ganz und gar klaren, ihn gleichzeitig faszinierenden Gegenstand, als handelte es sich um einen Kunstgegenstand und immer in der wissenschaftlichsten Weise. Und wer in solcher wissenschaftlichen Weise über den Selbstmord redet, wie über einen Kunstgegenstand, und mit solcher alle in sich nur beschämenden Klarheit, der begehe nicht Selbstmord. (Thomas Bernhard: Korrektur, S. 316)


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Stadler, Eines Tages...

Anders als die meisten Selbstmörder, die das Leben über nicht an den Tod denken und sich irgendwann vor den Zug stürzen, aus einer augenblicklichen Laune, hatte er sich von jenen Wiener Nächten und auch Tagen an mit dem Tod abgegeben wie mit einem, der einem sicher ist, jenem, an dem man nicht zweifeln muß, auf den Verlaß ist. Als wären der Tod und die Todesangst seine wahren Lebensbegleiter, ja sein zweites Leben, das er neben seinem ersten her führte. Als wäre die Todesangst sein zweites Ich, das neben dem ersten herlief. (Arnold Stadler: Eines Tages, vielleicht auch nachts, S. 40)


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Zweig, Ungeduld des Herzens

Aber diese absurde Inkonsequenz haftet ja allen Selbstmördern an, daß sie noch zehn Minuten, ehe sie entstellte Kadaver sein werden, der Eitelkeit nachgeben, unbedingt sauber aus dem Leben zu gehen (aus dem Leben, das sie allein nicht mehr mitleben werden), daß sie sich rasieren (für wen?) und reine Wäsche anziehen (für wen?), ehe sie sich eine Kugel durch den Kopf schießen, ja, ich erinnere mich, sogar von einer Frau gehört zu haben, die sich schminkte und bei der Friseurin die Haare ondulieren und mit dem teuersten Coty parfümieren ließ, ehe sie sich hinabwarf vom vierten Stock. Nur dieses logisch völlig unerklärbare Gefühl riß mir die Muskeln auf, und wenn ich dem Obersten jetzt nacheilte, so geschah dies keineswegs - ich muß es betonen - aus Todesangst oder plötzlicher Feigheit, sondern einzig aus dem absurden Reinlichkeitsinstinkt, nicht unordentlich, nicht beschmutzt ins Nichts zu verschwinden. (Stefan Zweig: Ungeduld des Herzens, S. 357)


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Green, Varuna

Gott stellt uns in diese Welt hinein, damit wir ihn lieben, und nicht leben zu wollen bedeutet, Gott nicht lieben zu wollen. Doch Bertrand Lombard blieb gegenüber solchen Beweisführungen gleichgültig. Er hatte nur Helenes Gesicht vor Augen und war nahe daran, diesem Wahnbild in die andere Welt zu folgen, denn in der ersten Woche seiner Trauer hängte er sich an einem Bettlaken auf, das glücklicherweise zerriß. Von diesem Tag an ließ ihn sein Beichtvater nicht mehr allein, bis er wieder Vernunft angenommen hatte. Auf Befehl des Geistlichen hin besaß die Bibliothek nur mehr ein halbes Fensterkreuz, der Rest war zugemeauert, um ein Unglück zu verhindern. (Julien Green: Varuna, S. 135)


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Berg, Amerika (1)

Wüßten wir, was Leben ist, würden wir uns wohl schon bei der Geburt die Nabelschnur um den Hals legen. (Sibylle Berg: Amerika, S. 48)


 

Geklaut beim Salbader
Geklaut beim Salbader

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Das Weblog Freitod definiert schon mit seinem Namen das Thema, das es enthält: Aspekte des Suizids sollen in gesellschaftlicher, kultureller und wissenschaftlicher Hinsicht erörtert werden. Freitod ist ein kollaboratives Weblog, das allen registrierten Antville-Usern ermöglicht, sich zu beteiligen, indem sie entweder Einträge verfassen oder Kommentare zu den Einträgen schreiben können. Abgrenzend sei gesagt, dass nicht um Sinn und Daseinsberechtigung des Freitodes diskutiert werden soll und dass es sich auch nicht um ein Selbshilfeforum für Gefährdete oder betroffene Angehörigen handelt.

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