Freitod - Weblog zum Selbstmord
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"Eines Tages, als sie noch ganz von Liebe erfüllt nach Hause zurückkam, fand sie ihren Mann an der Decke aufgehängt. Sie stieß einen kurzen, aber so wilden Schrei aus, daß die dünne Schale ihrer Vernunft für immer zerbrach.

(Philippe Paringaux, Jacques Loustal: Die Farbe des Traums. S. 199 - gefunden von und bei kid37 - das hermetische Café).


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Zafón, Der Schatten des Windes II

"Als Jorge eines Morgens, zwei Tage vor der Ankunft in Buenos Aires, erwachte, stellte er fest, daß die Koje seines Vaters leer war. Er ging ihn auf dem nebligen, verlassenen Deck suchen. Auf dem Achterdeck fand er den noch warmen Morgenmantel seines Vaters. Die Kielspur des Schiffs verlor sich im Nebel, und das ruheglänzende Meer blutete. Da sah er, daß ihnen der Haifischschwarm nicht mehr folgte und in der Ferne Rückenflossen im Kreis tanzten. Auf dem Rest der Überfahrt erblickte kein Passagier mehr die Fische, und als Jorge Aldaya in Buenos Aires an Land ging und der Zolloffizier ihn fragte, ob er allein unterwegs sei, nickte er nur. Seit langer Zeit war er allein unterwegs."

Carlos Ruiz Zafón, Der Schatten des Windes, S. 450 f.


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Ginzburg, Familienlexikon

Silvio war der Bruder meiner Mutter, der Selbstmord begangen hatte. Sein Tod wurde in unserem Haus in Geheimnis gehüllt. Und noch heute weiß ich nur, daß er Selbstmord beging, aber nicht warum. Ich glaube, es war vor allem mein Vater, der diesen Tod mit Geheimnis umgab, weil wir nicht wissen sollten, daß es in unserer Familie einen Selbstmörder gab oder vielleicht auch noch aus anderen Gründen, von denen ich nichts weiß. Meine Mutter dagegen war immer fröhlich, wenn sie von Silvio sprach: Denn meine Mutter hatte eine so fröhliche Natur, daß sie von jedem Menschen und Ding nur das Gute und heitere in Erinnerung behielt und die schmerzlichen und bösen Seiten im Schatten ließ oder sich mit einem kurzen Seufzer von ihnen abwandte. (Natalia Ginzburg: Familienlexikon, S. 37)


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Zafón, Der Schatten des Windes

"Miquel Moliner war ein trauriger Junge. Er war in ungesunder Weise vom Tod und allen damit zusammenhängenden Themen besessen, auf deren Betrachtung er einen Großteil seiner Zeit und seines Talents verwandte. Drei Jahre zuvor war seine Mutter bei einem merkwürdigen häuslichen Unfall ums Leben gekommen, den ein unbesonnener Arzt als Selbstmord zu bezeichnen wagte. Miquel hatte die Leiche gefunden, die im tiefen Brunnenwasser des kleinen Sommerpalastes schimmerte, welchen die Familie in Argentona besaß. Als man sie an Seilen heraufzog, zeigte sich, daß die Taschen des Mantels der Toten mit Steinen gefüllt waren. Weiter fand sich ein in ihrer Muttersprache Deutsch gerschriebener Brief, doch Senor Moliner, der sich nie die Mühe gemacht hatte, diese Sprache zu erlernen, verbrannte ihn noch am selben Abend, ohne daß ihn jemand lesen durfte ..."

Carlos Ruiz Zafón, Der Schatten des Windes, S. 252.


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Wellershoff, Der Liebeswunsch

Eine unbestimmte Zeit sitzt sie in sich versunken in einem der beiden Sessel. Es ist, als sei sie schon nicht mehr da. Nach einer Weile steht sie auf und tritt auf die Loggia hinaus. Wieder herrscht Ebbe. Das Meer ist zurückgewichen bis zum Horizont. Es weht ein feuchter Wind. Sie ist nicht passend angezogen. Darauf kommt es nicht mehr an. Sie ist so weit weg von sich selbst, daß sie auch keine Furcht mehr hat, obwohl sie zittert. Sie wird Schluß machen, für immer. Schluß mit den Täuschungen, den Demütigungen, der Angst und der eigenen Schwäche. Nur noch eine Schwierigkeit muß sie überwinden: Sie muß sich rücklings auf die Brüstung der Loggia setzen, die Augen schließen, loslassen und Kopf und Arme nach hinten werfen. Es ist eigentlich ein Kinderspiel. Aber sie stellt sich ungeschickt an, weil sie so stark zittert und nicht in die Tiefe blicken will. Erst will sie richtig sitzen. Und dann... Im Fallen hört sie das laute Rauschen der vorbeiströmenden Luft. (Dieter Wellershoff: Der Liebeswunsch, S. 342)


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Simenon, Maigret contra Picpus

Ein Fenstersturz. Der Armeleuteselbstmord, besonders bei den Alten und merkwürdigerweise vor allem im Achtzehnten. (Georges Simenon: Maigret contra Picpus, S. 8)


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Capote, Kaltblütig

Tränen, die auch dann noch nicht versiegen wollten, als die Musik zu Ende war. Und wie häufig in solcher Stimmung überkam ihn der Gedanke, der für ihn eine "enorme Faszination" hatte, der Gedanke an Selbstmord. Als Kind hatte er oft die Absicht gehabt, sich zu töten, aber das waren sentimentale Träumereien, aus dem Wunsch, seinen Vater, seine Mutter und andere Feinde zu bestrafen. Seit seinen Jünglingsjahren hatte dieser Gedanke jedoch viel von seiner Phantastik verloren. Schließlich war das Jimmys "Lösung" gewesen, und auch Ferns. Und neuerdings erschien ihm der Selbstmord nicht mehr als bloße Möglichkeit, sondern ganz definitiv als die Todesart, die auf ihn zukam. (Truman Capote: Kaltblütig, S. 208)


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Bernhard, Ein Kind

Selbstmord war eines seiner selbstverständlichsten Wörter, es ist mir seit der frühesten Kindheit vor allem aus dem Mund meines Großvaters vertraut. ich habe Erfahrung im Umgang mit diesem Wort. Keine Unterhaltung, keine Unterweisung seinerseits, in welcher nicht unausweichlich die Feststellung folgte, daß es der kostbarste Besitz des Menschen sei, sich aus freien Stücken umzubringen, wann immer es ihm beliebe. Er selbst hatte lebenslänglich mit diesem Gedanken spekuliert, es war seine am leidenschaftlichsten geführte Spekulation, ich habe sie für mich übernommen. Jederzeit, wann immer wir wollen, sagte er, können wir Selbstmord machen, möglichst auf das ästhetischste, sagte er. Sich aus dem Staub machen können, sagte er, sei der einzige tatsächlich wunderbare Gedanke. (Thomas Bernhard: Ein Kind, S. 30)


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Gustafsson, Blom

Frau Juhlin, dem Hörensagen nach eine melancholische Natur, war eines Abends hinunter zum See gegangen und hatte sich ertränkt. Aus welchem Grund, ob es nun etwas anderes war als Melancholie, ist nicht leicht zu sagen. In dieser Gegend war man ja daran gewöhnt, daß die Menschen an düsteren Novembertagen und in langen dunklen Winternächten schwermütig wurden. Kurz gesagt, dergleichen kam vor. (Lars Gustafsson: Blom und die zweite Magenta, S. 62)


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Fontane: Graf Petöfy

Es ist ein tiefes und schönes Wort, das Wort von der süßen Gewohnheit des Daseins; alles, was lebt, hängt auch am Leben, und nur der geht, der gehen muß. Unter den vielen Bücherweisheitssätzen, die mir von Grund aus zuwider sind, steht der von der besonderen Feiglingschaft derer, die das Pistol in die Hand nehmen, obenan. Nach dem bißchen Lebensweisheit, das ich mir anzueignen in der Lage war, hört das Pistol auf, wo die Feigheit anfängt, und hört die Feigheit auf, wo das Pistol anfängt. Wer es in die Hand nimmt, ist durch schwere Kämpfe gegangen. Achtung vor dem Unglück! (Theodor Fontane: Graf Petöfy, S.13)


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Roth: Operation Shylock

So anheimgegeben der Katastrophe des Selbstverlustes, wie ich es war, hätte das als Bestätigung von hinreichend verstörender Beweiskraft dienen können, um mich zur Überzeugung zu bringen, es sei nun soweit, Selbstmord zu begehen. Denn ich dachte die ganze Zeit daran, mich umzubringen. Gewöhnlich dachte ich daran, mich zu ertränken: in dem kleinen Teich, der vom Haus aus auf der anderen Seite der Straße lag... hätte ich nicht einen solchen Horror vor den Wasserschlangen gehabt, die dort an meinem Leichnam knabbern würden, in dem malerischen großen See, der nur wenige Meilen entfernt lag... hätte ich nicht solche Angst gehabt, allein dort hinauszufahren. (Philip Roth: Operation Shylock. Ein Bekenntnis, S.19)


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Coetzee, Meister von Petersburg

"Warum hat er sich umgebracht?" "Glaubst du, daß er sich umgebracht hat?" "Mama sagt, er hat sich umgebracht." "Niemand bringt sich selbst um, Matrjoscha. Man kann sein Leben in Gefahr bringen, aber man kann sich nicht wirklich selbst umbringen. Wahrscheinlicher ist, daß Pawel sein Leben aus Spiel gesetzt hat, um zu sehen, ob Gott ihn genug liebte, um ihn zu retten. Er hat Gott eine Frage gestellt: Wirst du mich retten? Und Gott hat ihm die Antwort gegeben. Gott hat gesagt: Nein. Gott hat gesagt: Stirb!" "Gott hat ihn umgebracht?" "Gott hat nein gesagt. Gott hätte auch sagen können: Ja, ich werde dich retten. Aber er hat lieber nein gesagt." "Warum?" flüstert sie. "Er hat zu Gott gesagt: Wenn du mich liebst, dann rette mich! Wenn es dich gibt, dann rette mich! Aber alles blieb still. Dann hat er gesagt: ich weiß, du bist da; ich weiß, du hörst mich. Und ich wette mein Leben darauf, daß du mich retten wirst. Und Gott hat immer noch nichts gesagt. Dann hat Pawel gesagt: Und wenn du auch noch so stumm bleibst, ich weiß, daß du mich hörst. Ich riskier's - jetzt! Und er hat seinen Einsatz hingeworfen. Und Gott ist nichts erschienen. Gott hat nicht eingegriffen. (J.M.Coetzee: Der Meister von Petersburg, S. 81)


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Schnitzler, Traumnovelle

Der Rauchfangkehrmeister Peter Korand hatte sich zum Fenster hinausgestürzt. Es kam Fridolin irgendwie sonderbar vor, daß auch Rauchfangkerer sich zuweilen umbrachten, und er fragte sich unwillkürlich, ob der Mann sich vorher ordentlich gewaschen oder schwarz, wie er war, ins Nichts gestürzt hatte. (Arthur Schnitzler: Traumnovelle)


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Geklaut beim Salbader
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Das Weblog Freitod definiert schon mit seinem Namen das Thema, das es enthält: Aspekte des Suizids sollen in gesellschaftlicher, kultureller und wissenschaftlicher Hinsicht erörtert werden. Freitod ist ein kollaboratives Weblog, das allen registrierten Antville-Usern ermöglicht, sich zu beteiligen, indem sie entweder Einträge verfassen oder Kommentare zu den Einträgen schreiben können. Abgrenzend sei gesagt, dass nicht um Sinn und Daseinsberechtigung des Freitodes diskutiert werden soll und dass es sich auch nicht um ein Selbshilfeforum für Gefährdete oder betroffene Angehörigen handelt.

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