Freitod - Weblog zum Selbstmord
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Aubyn (1)

Während das Telefon klingelte, fragte er sich wieder einmal, was ihn eigentlich vom Selbstmord abhielt. Etwas so Verachtenswertes wie Sentimentalität oder Hoffnung oder Narzissmus? Nein. Es war wirklich nur der Wunsch zu erfahren, was als Nächstes passieren würde, trotz seiner Überzeugung, daß es zwangsläufig fürchterlich wäre; es ging um die erzählerische Spannung des Ganzen. (Edward St. Aubyn: Schlechte Neuigkeiten, S. 85)


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Suter, Lila, Lila ...

" "Inzwischen war es ihm egal. So egal wie alles, was nicht mit Sophie zu tun hatte. So egal wie er ihr.

[...]

Am Ausgang des Städtchens begann die Landstraße, die einen schnurgeraden Kilometer später im Rotwandtunnel verschwand. Peter schaltete in den höchsten Gang und fuhr mit Vollgas auf die Tunneleinfahrt zu. Sie war in eine Felswand gesprengt, die sich wie eine Mauer quer über das Tal legte. Tagsüber, bei guter Sicht, war sie als Mauseloch aus fünfhundert Meter Distanz zu sehen. Die Aufofahrer gingen bei ihrem Anblick unwillkürlich vom Gas, als fürchteten sie, das kleine Loch nicht zu treffen. Dabei konnte man die Einfahrt zum Rotwandtunnel nicht verfehlen. Auch nachts nicht. Es sei denn, man tat es absichtlich, wie Peter Landwei. Und dieser Peter Landwei - das war ich." "

Martin Suter, Lila Lila, Diogenes Verlag, S. 5, 7, schön besprochen hier vom Goethe-Institut Irland.


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Willemsen, Deutschlandreise

Von Zeit zu Zeit versuchte er sich umzubringen, war aber von so robuster Gesundheit, daß Schlaftabletten oder Barbiturate keine letale Wirkung zeigten. Außerdem hatte er Pech: Ging er nachts an einem Schienstrang entlang, näherte sich aus dem Dunkel garantiert ein Bahnbeamter und sagte: "Hier wird sich nicht umgebracht." Mischte er sich einen Coctail unter Zusatz von Fliegenpilzen, lag er zwar zwei Tage lang gliedersteif und röchelnd flach. Der Tod trat trotzdem nicht an sein Bett. Zum Äußersten entschlossen, hatte er sich eines Nachts sogar in der Garage seines Vaters verbarrikadiert. Dort legte er einen Schlauch vom Auspuff seines Mofas direkt in einen großen blauen Plastiksack, startete das voll getankte Mofa und setzte sich selbst wartend in den Sack. Stunden später, der Tank war inzwischen leer, kroch er völlig unversehrt wieder hervor. Sein Vater erhängte eine Woche Stubenarrest. (Roger Willemsen: Deutschlandreise, S. 93)



Berg, Der Mann schläft (1)

Jeder ist so erstaunlich individuell, wurde uns in jungen Jahren erzählt, um uns vom Selbstmord abzuhalten. Auch so eine Unsitte. Menschen ihrer letzten Freiheit berauben. Selbstmordversuch und ab in die geschlossene Abteilung, gefesselt und überwacht, egal wie alt man ist, ohne Rücksichtnahme, ob einer seine evolutionäre Pflicht schon erfüllt hat oder nicht. Gelebt muß werden, da könnte ja sonst jeder kommen. Die Steuern, die Armee, der Nachwuchs, die Evolution. Dieses kollektive Zusammenzucken, wenn vom freiwlligen Abschied die Rede war, hätte man nicht das Gespräch suchen können, therapieren können, den Unglücklichen abhalten, ihn zwingen, die achtzig Jahre abzusitzen? (Sibylle Berg: Der Mann schläft, S. 33)


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Steinfest, Ein sturer Hund

Nicht, daß er ernsthaft an Selbstmord dachte. Aber groß war die Verführung schon. Allerdings nicht minder groß der Aufwand, den das Befeuern einer Pistolenkugel bedeutete, die Einnahme ausreichend vieler Tabletten oder etwa das Steuern des Wagens gegen ein wirklich robustes Objekt der Natur. Dies alles bedingte Vorbereitungen und Anlaufzeiten, die dazu angetan waren, von der Lebensmüdigkeit in eine Suizidmüdigkeit zu verfallen und zu erkennen, daß es wahrscheinlich leichter war, weiterzuleben als sich umzubringen. Der Sprung auf die Gleise jedoch war - zumindest für die Person, die sprang - herrlich unkompliziert. Nicht gerade sauber, aber einfach und sicher. Und die ganze Schweinerei, die dabei entstand und die ja irgend jemand wegzuschaffen hatte, nur für jenen potentiellen Selbstmörder ein Problem, der sowohl in sozialen als auch in postumen Kategorien dachte. Mortensens Wehmut war rasch verflogen. Stattdessen erfüllte ihn nun Ärger: So ein Selbstmord stelle ja im Grunde eine Frechheit dar. Was wäre gewesen, hätten es sich alle, die des Lebens überdrüssig waren, so einfach gemacht? Hätte ein jeder dem Bedürfnis nachgegeben, mit einem einzigen Schritt einen Fluß zu überqueren, in dem die anderen erbärmlich absoffen? Nein, es störte ihn keineswegs, wenn jemand Hand an sich legte, vorausgesetzt, daß der Betreffende sich dabei auch wirklich der eigenen Hand bediente. Aber jemand, der vor die Bahn sprang und damit eine ganze Strecke der Stuttgarter Stadtbahn lahmlegte, kam Mortensen wie einer von diesen Fettsäcken vor, die nicht mittels quälenden Sports oder quälender Diäten abzunehmen versuchten, sondern sich das Fett absaugen ließen. Ja, das war der Vergleich, den er für passend hielt. (Heinrich Steinfest: Ein sturer Hund, S. 22)


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Hochgatterer, Süße des Lebens

Das Leben geht immer schlecht aus. Als Psychiater bin ich in Wahrheit mit nichts anderem beschäftigt als damit, den Menschen vorzumachen, daß es nicht so ist. Ich bin ein Gaukler, dachte er. Daß das Leben immer schlecht ausgeht, ist Grund genug, verrückt zu werden oder sich aufzuschneiden oder sich Heroin in die Venen zu hauen, aber das darfst du nicht laut sagen. (Paulus Hochgatterer: Die Süße des Lebens, S. 126)


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Duve, Taxi

Wie sollte ich meine Wohnung kündigen? Und wie sollte ich eine neue Wohnung anmieten? Nein, das ging nicht. Mir wurde schon schlecht, wenn ich nur daran dachte. Am besten, ich brachte mich um. Das war das Unkomplizierteste. Andererseits: vielleicht entwickelte ich mich ja irgendwann doch noch zu einem normalen Menschen. Das gab es, daß Leute plötzlich einen großen Entwicklungssprung machten. Ich wurde ja immer älter und älter, und eines Tages war ich vielleicht sogar in der Lage, ganz allein eine Wohnung anzumieten. Vielleicht zehn Jahre noch. So schnell wollte ich die Flinte nicht ins Korn werfen. (Karen Duve: Taxi, S. 154)


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Dinev, Ein Licht...

Sie hieß Nikolina, klebte jede freie Minute an seinem Hals, weinte öfter, als sie sprach, fragte zweimal pro Tag, ob er imstande sei, sich ihretwegen umzubringen, und ebensooft drohte sie ihm mit Selbstmord. Er nahm ihr das nicht übel. Die Stadt war sehr klein. Es geschah hier sonst nichts, außer ab und zu ein Selbstmord. Gewöhnlich waren es Militäroffiziere, die keine Arbeit mehr hatten und keine Tomaten auf dem Markt verkaufen wollten. Die meisten erschossen sich, oder sie erschossen ihre untreuen Gattinnen oder die Liebhaber ihrer Gattinnen. Auf jeden Fall knallte es. (Dimitré Dinev: Ein Licht über dem Kopf, S. 83)


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Moore, Sturmflut

"Wermut und Gift! Beständig denkt meine Seele daran und ist tief gebeugt." Gott! Armanda richtete ihren Blick auf den Pfarrer, der da oben auf seiner Kanzel einen alles andere als unscheinbaren Eindruck machte. Wie meinen Sie das? Beängstigend weit vorgelehnt, war hier jemand im Begriff, Jeremias Klagelied zu wiederholen, zu bearbeiten und fachmännisch auf den speziellen Fall des heutigen Tages zuzuschneiden. Was ich meine, ist, es wird allmählich Zeit, daß du damit aufhörst. Armanda darauf noch, gewitzt: Womit? Weißt du genau. Wermut und Gift, all diese elenden Gedanken, die eine Seele, auch deine, wirklich nicht großmütiger machen! Denk außerdem an die Kleine, die heute mittag daheim geblieben ist! Nadja? Ja, genau. Soll sie etwa in einer derart miesepetrigen Umgebung aufwachsen? Gott hat uns deine Schwester genommen, und damit verfolgt er eine Absicht. Stop. Paß auf. Die Grausamkeit Gottes ist ein großes Tabu. Laß also deine Schmalspurempörung und bedenke, daß du seine Beweggründe nicht verstehst. Die Summe aller Unzurechnungsfähigkeit ist Gott. Der dir heute also einen simplen Befehl erteilt. Laß sie gehen, leb du weiter. (Margriet de Moor: Sturmflut, S. 179)


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Adorjan, exklusive Liebe

Erzsi sagt, in dieser Zeit habe sie meine Großmutter zum ersten Mal von Selbstmord sprechen hören. Sie habe zu ihr gesagt, wenn Pista nicht zurückkäme, werde sie sich das Leben nehmen. Trotz Kind? Mit Kind? Wie ernst hat sie es damals gemeint? Ich erinnere mich an ein Nietzsche-Zitat, das ich in der Schule mal im Religions- oder Ethikunterricht gehört und später nirgendwo gefunden habe. Es könnte auch von Sartre gewesen sein. Sinngemäß sagte es, daß es immer im Leben, zu jedem Zeitpunkt, genau drei Möglichkeiten gibt: Man kann etwas tun, man kann es bleiben lassen oder man kann sich umbringen. Ist dies ein Gedanke, der Kraft geben kann? Weil er alles, auch schlechte Zeiten, als freiwillige Wahl erscheinen läßt? Hat der Gedanke an ein selbstbestimmtes Ende meiner Großmutter gute Laune gemacht? Ihr die Gewißheit gegeben, nie wieder ausgeliefert zu sein? Sie unabhängig gemacht vor großen Ängsten - man muß schließlich nichts ertragen, was man nicht ertragen will, nicht Krankheit, Altern, Gebrechlichkeit. (Johanna Adorjan: Eine exklusive Liebe, S. 48)


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Lange, Tagebuch (2)

Gastgeber: Was haben Sie? - Ordinow: Eine Absonderlichkeit. ich leide unter einem Zustand, wie soll ich ihn beschreiben? Es ist etwas wie Melancholie. ich kann keine Pistole an der Wand hängen sehen, schon spüre ich die Versuchung, mich zu erschießen. (Hartmut Lange: Tagebuch eines Melancholikers, S. 138)


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Lange, Tagebuch (1)

Ordinow: Mein Herr, beantworten Sie mir, ich bitte Sie, folgende Frage: Sollte man sich, wenn einem danach zumute ist, eine Kugel durch den Kopf schießen? - Gastgeber: Das würde ich nicht tun. - Ordinow: Warum nicht? - Gastgeber: Es ist tautologisch, werter Herr, sich das Leben zu nehmen, wenn man sowieso sterben muß. (Hartmut Lange: Tagebuch eines Melancholikers, S. 132)


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Schinkarjow, Maxim und Fjodor

Maxims Bekannter Pjotr (ausführlicher zu ihm weiter unten) hegte seit seiner Kindheit einen unbezwingbaren Drang, sich umzubringen. Wenn er über eine Brücke ging, konnte er oftmals der Versuchung nicht widerstehen, mit dem Leben abzurechnen - und stürzte sich in die Tiefe... Den Rest des Weges bewältigte der zur Vernunft gekommene Pjotr schwimmenderweise. Diese suizidale Anwandlungen, von denen der empfindsame junge Mann immer wieder befallen wurde, verhalfen ihm zu einer ausgezeichneten Abhärtung und den Werten eines Leistungssportlers. (Wladimir Schinkarjow: Maxim und Fjodor, S. 11)


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Geklaut beim Salbader
Geklaut beim Salbader

Hinweis in eigener Sache
Das Weblog Freitod definiert schon mit seinem Namen das Thema, das es enthält: Aspekte des Suizids sollen in gesellschaftlicher, kultureller und wissenschaftlicher Hinsicht erörtert werden. Freitod ist ein kollaboratives Weblog, das allen registrierten Antville-Usern ermöglicht, sich zu beteiligen, indem sie entweder Einträge verfassen oder Kommentare zu den Einträgen schreiben können. Abgrenzend sei gesagt, dass nicht um Sinn und Daseinsberechtigung des Freitodes diskutiert werden soll und dass es sich auch nicht um ein Selbshilfeforum für Gefährdete oder betroffene Angehörigen handelt.

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