Freitod - Weblog zum Selbstmord
[mit unsäglich origineller GIF-Animation]
 


Amras

In Thomas Bernhards Amras geht es nicht unwesentlich um Selbstmord. Interessante Wortschöpfung vom morbiden Meister: "Selbstmordanwaltschaft".


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Japanische Regeln

Denk lieber an das, was der Mühe wert ist, an deinen Nachruhm. Er wird glänzend, wenn du dich tötest, und deine Angehörigen werden stolz auf dich sein. In der Familiennische des Bestattungstempels erhälst du einen Vorzugsplatz: Das ist das Höchste, was der Mensch erhoffen kann. (...) Wenn wir die Lust mißachten, dann nicht aus Puritanismus. Dieser amerikanische Wahn liegt uns fern. Nein, die Lust zu meiden ist deshalb, weil sie uns den Schweiß hervortreibt. Nichts ist schändlicher, als zu schwitzen. Wenn du mit vollen Backen deine Schale kochendheißer Nudeln verschlingst, wenn du dich der Raserei des Geschlechts hingibst, wenn du den Winter dösend am warmen Ofen verbringst, wirst du schwitzen. Und niemand wird mehr bezweifeln, daß du eine ordinäre Person bist. Zögere daher nicht zwischen der Selbsttötung und dem Schwitzen! Das eigene Blut zu vergießen verdient Bewunderung, Schweiß zu vergießen Verachtung. Wenn du dir den Tod gibst, schwitzt du nie wieder, und deine Beklemmung hat für all Ewigkeit ein Ende. (Amelie Nothomb: Mit Staunen und Zittern, S. 84f.)


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Coelho (1)

Sie hielt sich für einen vollkommen normalen Menschen. Ihr Entschluß zu sterben hatte zwei einfache Gründe, und sicher würden viele Menschen sie verstehen, wenn sie sie in einer entsprechenden Erklärung darlegte. Der erste Grund war: Ihr Leben verlief gleichförmig, und wenn die Jugend erst einmal vorbei war, würde es nur noch abwärtsgehen, sie würde altern, krank werden, Freunde verlieren. Letztlich würde Weiterleben nichts bringen, vermutlich nur mehr Leiden. Der zweite Grund war: Veronika las die Zeitungen, sah fern und wußte, was in der Welt geschah. Nichts war so, wie es sein sollte, und sie konnte nichts dagegen tun. Und das gab ihr ein Gefühl vollkommener Ohnmacht. (Paulo Coelho: Veronika beschließt zu sterben, S. 13f.)


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Burger: Schuß auf die Kanzel

Der Suizidant wählt in der Nacht die Nacht, er verhält sich, der Logik des Todes entsprechend, tautologisch. Er hat den Absprung getan, er befindet sich im Schwarzen Kabinett, wo sich keine Regung mehr vom tödlichen Hintergrund abhebt. Er ist der einzige, der von sich sagen kann: ich bin gestorben. Er erlebt den Tod dreidimensional, indem er tötet, ermordet und stirbt. (Hermann Burger: Der Schuß auf die Kanzel, S. 176)


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Die Hölle

              Die Hölle

Kalte Gestalten haben freude daran, anderen wehzutun, überall nur Kälte und Hass, da sind nur zwei Engel, die mich vom Absturz abhalten, doch um uns drei herum nur hass, Die Menschen die vorgaben dich zu lieben, lassen dich fallen, sehen nicht das du am Ende bist,machen dir Vorwürfe, alles um dich herum bricht ein ES IST SCHLIMM, ES IST DIE HÖLLE; ES IST DAS LEBEN!!!!!!!!!!!!!!!!!!


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Etwas makaber

vielleicht der Buchtitel: "Todeszeichen - Freitod in Selbstzeugnissen". Gesammelt und eingeleitet von Gabriele Dietze, erschienen bei Luchterhand, 1981. Unterteilt in die Kapitel:

  1. Abhandlungen
  2. Ablehnungen
  3. Vorboten
  4. Entfernungen
  5. Entzeiten
  6. Aufgaben
  7. Abgänge
  8. Vermächtnisse
  9. Nachrufe
Autoren sind u.a. Hertha Kräftner, Jean Améry, Ryûnosuke Akutagawa, Konrad Bayer, Unbekannte Dragoner, Sylvia Plath, Kurt Tucholsky, Bertolt Brecht, Charlotte Perkins Gilman, Attila Jószef, Wladimir Majakowski, und viele andere. Würde mich interessieren, ob es zum Thema "Selbstmord" noch andere Literaturanthologien oder sowas gibt.


Stadler

Es gab Menschen, die daran glaubten und so lebten, als ob es schön wäre, zu leben. Doch einmal zu den Bahngeleisen hinüberlaufen und sich durch einen Sprung retten! - Immer wieder gab es Menschen, denen dies trotz schärfster Aufsicht von Aufsehern, die bestellt waren, Menschen, die nicht hier bleiben wollten, hier festzuhalten, gelang. Denn immer wieder gab es Menschen, die alle jene beschämten, die behaupteten, ein glückliches Leben zu führen, und daß das Leben doch ein wunderbares Geschenk sei. Immer wieder gab es auch diese Menschen, die die anderen, die angeblich ein glückliches Leben führen, mit ihrem Sprung in die Freiheit beschämten und einen Weg fanden, der sie rettete, auch wenn die "Anleitung zum Selbstmord" auf dem Staatsindex der verbotenen Bücher stand und längst aus dem Verkehr gezogen worden war. (Arnold Stadler: Ein hinreißender Schrotthändler, S. 213)



Hildesheimer: Marbot (2)

Schopenhauer meint zwar, der Suizid sei nicht die Antwort auf die Zumutung des Lebens, vielmehr sollten wir aktiv verneinend weiterleben. Doch er vergißt, daß das 'philosophische Leben' ein anderes ist als das gelebte Leben - vielleicht vergißt er es auch nicht, aber er will es nicht wahrhaben. Man darf den Suizid nicht als Ausdruck einer Haltung zur Welt betrachten und nicht als Flucht ins Nichtsein, sondern als Verweigerung dessen, was die grausame Natur mit uns als einzelnem Individuum treibt oder vorhat. Gewiß löst der Freitod kein philosophisches Problem, aber als solche Lösung ist er von niemandem jemals verübt worden. Niemals war sein Motiv der Ausdruck einer Haltung zum allgemeinen Dasein, sondern immer nur zum einzelnen Leben des Selbstmörders. (...) Schopenhauer behandelt dieses Thema zu dogmatisch, er berücksichtigt die Seele nicht. Man muß vom einzelnen Menschen ausgehen, von seinen Motiven, seinem Überdruß, seiner Verzweiflung. Aus Gehorsamkeit dem Naturgesetz gegenüber gelebt zu werden, ist das Leben nicht wert. Der Selbstmord ist die extreme Freiheit des Individuums, der mit der Wahl zwischen Sein und Nichtsein ernst macht. (Wolfgang Hildesheimer: Marbot, S. 242f.)



Hildesheimer: Marbot (1)

Ein Mensch, der denken kann, sollte wissen, wann seine Zeit ausgelaufen ist. Die Unwürdigkeit, über diesen Punkt hinauszuleben, wird ihm bestraft, indem er sich selbst mit jedem Tag unerträglicher wird. Rücksicht auf seine Mitmenschen darf ihn an der endgültigen Tat nicht hindern. Denn er kann in deren Seele nicht hineinblicken, daher er nicht weiß, ob sie ihn noch ertragen oder ob er ihnen zur Last fällt. Wer sich selbst nicht erträgt, wird auch von anderen nicht ertragen. (Wolfgang Hildesheimer: Marbot, S. 247f.)


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Raymond Chandler

Es konnte keinen Zweifel geben, daß er tot war. Ich sah mich um, ob da vielleicht irgendwo ein Brief lag oder sonst ein Gekritzel. Es war nichts da außer dem Skriptstapel auf dem Schreibtisch. Sie hinterlassen keine Briefe. Die Schreibmaschine stand unzugedeckt auf dem Gestell. Es steckte nichts drin. Im übrigen sah alles ganz natürlich aus. Selbstmörder treffen meist alle möglichen Vorbereitungen, manche trinken vorher Schnaps, manche nehmen erst noch ein kompliziertes Champagnerfrühstück zu sich. Manche ziehen Abendkleidung an dafür, manche ziehen sich ganz aus. Es haben sich schon Leute auf hohen Mauern umgebracht, in Straßengräben, in Badezimmern, im Wasser, über dem Wasser, auf dem Wasser. Sie haben sich in Scheunnen erhängt und in Garagen mit Gas vergiftet. Dieser Selbstmord sah einfach aus. (Raymond Chandler: Der lange Abschied, S. 258)



Singer, die Aktentasche

Zuerst legte ich mich auf die Couch und versuchte, den versäumten Schlaf nachzuholen. Wir waren erst um ein Uhr morgens aus dem Theater nach Hause gekommen. Das Telefon läutete, und ich ließ es läuten. Ich dachte an die Worte Esaus: "Siehe, ich muß doch sterben, was soll mir denn die Erstgeburt"" Die Art von Leben, die ich führte, gab mir das Gefühl, langsam Selbstmord zu verüben. Ich war schon so weit, daß ich nie mehr als fünf Rasierklingen kaufte. Zehn zu kaufen hieße das Schicksal herauszufordern - ich konnte jeden Tag eine Herzattacke oder einen Nervenzusammenbruch bekommen. Gegen elf wachte ich auf, genauso müde, wie ich mich hingelegt hatte. Ich sah mich im Zimmer um. Die Putzfrau hatte operiert werden müssen und war zur Erholung zu ihrer alten Mutter nach Puertorico gefahren. Die Wohnung war schmutzig. Bücher, Zeitschriften, Unterhosen, Krawatten, Taschentücher lagen am Boden verstreut. Der Schreibtisch war mit Papieren bedeckt. Obwohl ich versuchte, Ordnung zu halten, lebte ich doch in dauernde Unordnung. Ich konnte nie etwas finden. Ich verlor Rechnungen. Ich verlegte meinen Füllfederhalter und meine Brille. Ich zog einen Schuh an und konnte den zweiten nicht finden. Eines Tages vermißte ich meinen Cashmeremantel. Ich suchte überall, selbst an Orten, die für ein Unterhemd zu klein gewesen wären, er war verschwunden. War bei mir eingebrochen worden? Nirgends waren Zeichen eines Einbruchs. Warum nur sollte ein Dieb ein Mantel nehmen? Ich öffnete den Schrank noch einmal und fand den Mantel zwischen meinen anderen Sachen. Kann man vor lauter Geistesabwesenheit blind sein? (Isaac B. Singer: Die Aktentasche)


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Geklaut beim Salbader
Geklaut beim Salbader

Hinweis in eigener Sache
Das Weblog Freitod definiert schon mit seinem Namen das Thema, das es enthält: Aspekte des Suizids sollen in gesellschaftlicher, kultureller und wissenschaftlicher Hinsicht erörtert werden. Freitod ist ein kollaboratives Weblog, das allen registrierten Antville-Usern ermöglicht, sich zu beteiligen, indem sie entweder Einträge verfassen oder Kommentare zu den Einträgen schreiben können. Abgrenzend sei gesagt, dass nicht um Sinn und Daseinsberechtigung des Freitodes diskutiert werden soll und dass es sich auch nicht um ein Selbshilfeforum für Gefährdete oder betroffene Angehörigen handelt.

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