Freitod - Weblog zum Selbstmord
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Diogenes

Wie Diogenes den Alexander habe ich das Leben nur gebeten, es möge mir aus der Sonne gehen. [Fernando Pessoa: Das Buch der Unruhe, S. 117 (85)]


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Kleists Abschied

Ich kann nicht sterben, ohne mich zufrieden und heiter, wie ich bin, mit der ganzen Welt, und somit auch, vor allem andern, meine teuerste Ulricke, mit Dir versöhnt zu haben... die Wahrheit ist, daß mir auf Erden nicht zu helfen war... möge Dir der Himmel einen Tod schenken, nur halb an Freude und aussprechlicher Heiterkeit dem meinigen gleich. (Heinrich von Kleist kurz vor dem frei gewählten Tod)


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Das Buch der Unruhe

Und über die Brüstung gelehnt und den Tag genießend, erfüllt nur ein einziger Gedanke im mannigfaltigem Raum über der Stadt meine Seele - der innere Wille zu sterben, zu enden, nicht mehr das Licht über irgendeiner Stadt zu erblicken, nicht zu denken, nicht zu fühlen, den Lauf der Sonne und der Tage wie Einwickelpapier hinter mir zu zurückzulassen und wie einen schweren Anzug neben dem großen Bett die unfreiwillige Anstrengung des Daseins abzulegen. [Fernando Pessoa: Das Buch der Unruhe, S. 109 (77)]


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Flaubert: November

Da erschien mir der Tod schön. Ich habe ihn immer geliebt. Als Kind wünschte ich ihn mir aus Neugierde herbei, um zu wissen, wie es in den Gräbern aussieht und was für Träume jener Schlummer birgt. Ich erinnere mich, oft den Grünspan von alten Sousstücken abgekratzt zu haben, um mich damit zu vergiften. Ich versuchte, Nadeln zu verschlucken, mich der Bodenluke zu nähern, um mich auf die Straße zu stürzen... Wenn ich daran denke, daß fast alle Kinder es ebenso machen, daß sie sich bei ihren Spielen zu entleiben suchen, sollte ich daraus nicht schließen, daß der Mensch trotz allem den Tod mit verzehrender Leidenschaft liebt? Er weiht ihm alles, was er schafft, er ist aus ihm geboren und kehrt zu ihm zurück. Solange er lebt, denkt er nur an ihn, er trägt seinen Keim im Körper und den Wunsch danach im Herzen. (Gustav Flaubert: November, S. 36)


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Antunes: Die Vögel kommen zurück

"Menschen, die vergebens nach einem Sinn des Lebens suchen", bemerkte der Psychologe, während er sorgfältig mit dem Bleistift Kreise auf ein Blatt Papier zeichnete, "sind immer potentielle Selbstmörder. Früher oder später wirft sie die Leere des Alltags in Ängste, wie eingesperrte Ratten in einem Versuchslabor, und dann haben wir die Tabletten, das Gas, den Strick, die Kugel, die Schwefelsäure, die achten Stockwerke, das Messer, den Strom, den Viadukt, die Pestizide von den Weinbergen, das Öl, das Meer: ihre Phantasie, meine Damen und Herren, kennt im wahrsten Sinne des Wortes keine Grenzen." (Antonio Lobo Antunes: Die Vögel kommen zurück, S. 85)


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Compton-Burnett: Männer und Frauen (2)

"Für mich war es immer ein Beweis für die Gleichheit der Geschlechter, daß Frauen ebensogut Selbstmord begehen wir Männer", sagte Geraldine mit einem Anlauf von Kühnheit. "Ich habe absolut nichts gegen Selbstmord, nur gegen das Hinterlassen von Briefen", sagte Mellicent. "Es ist ungezogen, einen Brief zu schreiben, und sich zugleich dem Risiko einer Antwort nicht zu stellen. (Ivy Compton-Burnett: Männer und Frauen, S. 116)


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Compton-Burnett: Männer und Frauen (1)

"Ich sehe nicht ein, warum wir nicht unser Leben beenden sollten, wenn wir es wünschen", sagte Jermyn. "Vielleicht würden dann die Menschen nicht so viel oder so lange leiden, wie wir meinen", sagte Harriet wie zu sich. "Harriet, meine Liebe!" sagte Godfrey, während Dominic, unwillkürlich bestürzt, zur Gastgeberin hinüberblickte. "Sein Leben selbst zu beenden, beweist einen Mangel an Mut", sagte Agatha mit milder Nachsicht für alle menschlichen Handlungen. "Ich glaube, es erfordert zuviel Mut. Ich jedenfalls wäre eine zu feige Seele, es auch nur zu versuchen", sagte Geraldine. (Ivy Compton-Burnett: Männer und Frauen, S. 109)


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Bausch: Eine austerbende Art

Eine Ehefrau, Ende Fünfzig, bringt sich um, weil sie mit dem Verkauf ihres Hauses die Aussicht "auf die im Morgennebel schwimmenden Berge Virginias" verlieren wird. Verstört verfallen Verwandte und befreundete Paare nach diesem Selbstmord wieder in ihre Kommunikationslosigkeit, ohne etwas von der Toten oder sich selbst begriffen zu haben. [Weiter]. -- Bausch, Richard: Eine aussterbende Art. Göttingen: Steidl, 2000. 139 S. ISBN: 3-882-43714-6.


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Der wunderbarere Massenselbstmord (2)

Zu ergründen war auch, warum der Mensch in der Stunde seines Freitodes das eigene Heim verließ. Und warum er sich dann trotzdem einen geschützten Ort suchte, wie eben jene alte Scheune. Wollte er unbewußt vermeiden, dass in der eigenen Wohnung Unordnung entstand? Der Tod war ja selten ein besonders schönes und sauberes Ereignis. Der Mensch suchte sich eine geschützte Stelle, damit die Leiche, auch die hässliche, nicht unter freiem Himmel lag und vom Regen durchnässt oder von den Vögeln vollgeschissen wurde. (Arto Paasilinna: Der wunderbare Massenselbstmord)


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Der wunderbare Massenselbstmord (1)

Sechzig Seminarteilnehmer, jeder Zehnte von denen, die auf die Annonce geantwortet hatten, erklärten am Ende ihre feste Absicht, sich umzubringen, und das gemeinsam und gleichzeitig. Die drei Organisatoren waren entsetzt. Helena Puusaari versuchte die Selbstmordlust der Kerntruppe zu bremsen, aber ihr Appell fruchtete nicht. Oberst Kemppainen sah sich gezwungen, die Versammlung, die eine so schicksalhafte Wendung genommen hatte, aufzulösen. Das Publikum gehorchte nicht. Maßnahmen wurden verlangt. Die allgemeine Meinung war, dass sich die verbliebenen Seminarteilnehmer nicht mehr trennen, sondern als Gruppe zusammenbleiben sollten. Komme, was da wolle, und alle wussten, was kommen würde. (Arto Paasilinna: Der wunderbare Massenselbstmord, Lübbe 2002)


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Sächsische Suizidgedanken

"Wenn nischt klappt, hupp ich in die Elbe." (Martin Walser: Die Verteidigung der Kindheit, S. 103)


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Bräker: Der Mann im Tockenburg

Ein andermal stellte mir der Bösewicht des jungen Werthers Mordgewehr auf einer sehr vortheilhaften Seite vor. "Du hast zehnfach mehr Ursach' als dieser - und er war doch auch kein Narr, und hat sich noch Lob und Ruhm damit erworben, und wiegt sich nun im milden Todesschlummer? - Doch wie? - Pfui eines solchen Ruhms"! [...] Wenn mein Weib, wenn ich selbst, mir solche nur zu wohl verdiente Vorwürfe machen, dann kämpf' ich oft mit der Verzweiflung; wälze mich halbe Nächte im Bett herum, rufe den Tod herbey, und bald jede Art mein Leben zu endigen scheint mir erträglicher, als die äusserste Noth der ich alle Tage entgegensehe. Voll Schwermuth schleich' ich dann langsam unsrer Thur nach, und blicke vom Felsen herab scharf in die Tiefe. Gott! wenn nur meine Seele in diesen Fluthen auch untergehen könnte! (Ulrich Bräker: Lebensgeschichte und Natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg)


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Wedekinds Frühlings Erwachen

Lieber Herr Stiefel! (...) Es wäre umgekehrt die gröbste Verletzung meiner Pflicht als mütterliche Freundin, wollte ich mich durch Ihre momentane Fassungslosigkeit dazu bestimmen lassen, nun auch meinerseits den Kopf zu verlieren und meinen ersten nächstliegenden Impulsen blindlings nachzugeben. Ich bin gern bereit - falls Sie es wünschen - an Ihre Eltern zu schreiben. Ich werde Ihre Eltern davon zu überzeugen suchen, daß Sie im Laufe dieses Quartals getan haben, was Sie tun konnten, daß Sie Ihre Kräfte erschöpft, derart, daß eine rigorose Beurteilung Ihres Geschickes nicht nur ungerechtfertigt wäre, sondern in erster Linie im höchsten Grade nachteilig auf Ihren geistigen und körperlichen Gesundheitszustand wirken könnte. Daß Sie mir andeutungsweise drohen, im Fall Ihnen die Flucht nicht ermöglicht wird, sich das Leben nehmen zu wollen, hat mich, offen gesagt, Herr Stiefel, etwas befremdet. Sei ein Unglück noch so unverschuldet, man sollte sich nie und nimmer zur Wahl unlauterer Mittel hinreißen lassen. Die Art und Weise, wie Sie mich, die ich Ihnen stets nur Gutes erwiesen, für einen eventuellen entsetzlichen Frevel Ihrerseits verantwortlich machen wollen, hat etwas, das in den Augen eines schlecht denkenden Menschen gar zu leicht zum Erpressungsversuch werden könnte. Ich muß gestehen, daß ich mir dieses Vorgehens von Ihnen, der Sie doch sonst so gut wissen, was man sich selber schuldet, zuallerletzt gewärtig gewesen wäre. Indessen hege ich die feste Überzeugung, daß Sie noch zu sehr unter dem Eindruck des ersten Schreckens standen, um sich Ihrer Handlungsweise vollkommen bewußt werden zu können. Und so hoffe ich denn auch zuversichtlich, daß diese meine Worte Sie bereits in gefaßterer Gemütsstimmung antreffen. Nehmen Sie die Sache, wie sie liegt. Es ist meiner Ansicht nach durchaus unzulässig, einen jungen Mann nach seinen Schulzeugnissen zu beurteilen. Wir haben zu viele Beispiele, daß sehr schlechte Schüler vorzügliche Menschen geworden und umgekehrt ausgezeichnete Schüler sich im Leben nicht sonderlich bewährt haben. (...) Solche Krisen dieser oder jener Art treten an jeden von uns heran, und wollen eben überstanden sein. Wollte da ein jeder gleich zu Dolch und Gift greifen, es möchte recht bald keine Menschen mehr auf der Welt geben. Lassen Sie bald wieder etwas von sich hören und seien Sie herzlich gegrüßt von Ihrer Ihnen unverändert zugetanen mütterlichen Freundin Fanny G. [Wedekind: Frühlings Erwachen, S. 54. Digitale Bibliothek]


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Geklaut beim Salbader
Geklaut beim Salbader

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Das Weblog Freitod definiert schon mit seinem Namen das Thema, das es enthält: Aspekte des Suizids sollen in gesellschaftlicher, kultureller und wissenschaftlicher Hinsicht erörtert werden. Freitod ist ein kollaboratives Weblog, das allen registrierten Antville-Usern ermöglicht, sich zu beteiligen, indem sie entweder Einträge verfassen oder Kommentare zu den Einträgen schreiben können. Abgrenzend sei gesagt, dass nicht um Sinn und Daseinsberechtigung des Freitodes diskutiert werden soll und dass es sich auch nicht um ein Selbshilfeforum für Gefährdete oder betroffene Angehörigen handelt.

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