Freitod - Weblog zum Selbstmord
[mit unsäglich origineller GIF-Animation]
 


Pamuk, Schnee

"Frauen nehmen sich das Leben, um zu gewinnen", sagte Kadife, "Männer dagegen, wenn sie sehen, daß sie keine Hoffnung auf Sieg mehr haben." (Orhan Pamuk: Schnee)



Gertrud Schwermut

Mit dem Schmerz werde ich fertig, aber gegen die Schwermut muß ich etwas tun. Sie tänzelt vor mir her und will mit mir anbändeln. Ich gebe ihr den Namen Gertrud, damit ich sie wirkungsvoller verhöhnen kann. Gertrud Schwermut, hau ab. Prompt stellt sie sich vor: Gestatten, Gertrud Schwermut, darf ich Sie ein bißchen herunterziehen? Hau ab, wiederhole ich. Sie verschwindet nicht, im Gegenteil, sie faßt mich an, ich spüre ihre schwarze Wärme. Vermutlich denkt sie, sie hätte mich im Griff. Sie drängt mich zum Brückengeländer hin, ich sehe auf das dunkle Wasser hinunter. Wir wärs mit einer Trennung vom Leben, fragt sie, wegen erwiesener Geringfügigkeit? Ich kenne diese Fragen, sie machen mich stumm. Gertrud redet auf mich ein wie ein schwer erziehbares Kind. Und doch ist sie ein bißchen verärgert, weil ich wieder nicht alles tue, was sie von mir verlangt. Eine halbe Minute kämpfe ich mit Gertrud Schwermut auf der Brücke, dann merke ich, es sind ihre Kräfte, die nachlassen, nicht meine. (Wilhelm Genazino: Ein Regenschirm für diesen Tag, S. 125)


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Oz, Black Box

Die letzten Zeilen habe ich jetzt mit einem Lächeln niedergeschrieben. Erwarte diesmal keinen weiteren Selbstmordversuch wie jene, die Dir zum Schluß nur noch ein trockenes Grinsen über die "gewohnte Magenspülung" entlockten. (Amos Oz: Black Box, S. 167f.)


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Genazino, Regenschirm

Inmitten dieser komischen Zustände verläßt mich der Mut, das Leben fortsetzenswert zu finden. (Wilhelm Genazino: Ein Regenschirm für diesen Tag, S. 77)


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Mauriac, Fleisch und Blut

In welches dunkle Wasser sollte man sich werfen, um unterzugehen? Der Teich war nicht tief genug; er selbst hatte kein Gewehr; auch verspürte er nur noch die Kraft, sich mit ausgebreiteten Armen und geschlossenen Augen in einen Abgrund fallen zu lassen. Da dachte er, daß der Fluß nicht weit sei: ein konturloser Nebelschleier inmitten der Ebene kennzeichnete seinen unsichtbaren Lauf. Eine halbe Stunde Weg, und alles wäre vorüber, aber diese halbe Stunde noch! (Francois Mauriac: Fleisch und Blut, S. 102)


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Shakespeare, Titus Andronicus

Titus:
Wenn dir dein Herz mit wildem Pochen stürmt,
Kannst dus durch Streiche nicht beruhigen!
Mit Seufzern triff, mit Ächzen töt es, Kind,
Faß dir ein spitzig Messer mit den Zähnen
Und bohr am Herzen eine Wunde dir.
Daß jede Träne deiner armen Augen
Der Gruft zufließt und - wenn sichs vollgesaugt-
Im bittern Salz der arme Narr ertrinke!

Marcus
Pfui, Bruder, pfui! lehr sie gewaltsam nicht
Die Hand anlegen ihrem zarten Leib!


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Plectrude

"Plectrude – was für ein Name! Das Schicksal, das hinter diesem steht, ist fast noch gewaltiger. Die Mutter dieses zarten, stets Menschen für sich einnehmende Kind, starb im geringen Alter von 19 Jahren – erhängt in einer Gefängniszelle. Lucette saß ein, weil sie ihren Mann erschoss, der dem Kind in ihrem Leibe tatsächlich Namen wie Joëlle oder Tanguy verpassen wollte. Nachdem Lucette im Knast den Namen Plectrude, unter großer Abwehr von außen, durchsetzen kann, will sie dem Bündel in ihrem Arm nicht im Weg stehen. ..."

printzip.de über Amélie Nothomb, Im Namen des Lexikons - ein Märchen mit unerwarteter Pointe - mehr über Amélie Nothomb.



Das einzige Recht

Onkel Or hat zu mir gesagt, ich soll ihm helfen. Ich habe geantwortet, daß niemand das Recht haben, sich umzubringen. Er hat sein Lachen angeschlagen und geantwortet: "Das ist das einzige Recht." (Giuseppe Dessi: Der Erdrutsch)


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Der Flieger

"Was macht einer unmittelbar vor seinem Freitod? Lächelt er, denkt er nach, pfeift er ein Lied? Oder anders gefragt: Wann hätte dieses Vorhaben noch verhindert werden können? Und was passierte parallel dazu in der Stadt, als der Sprengsatz losging? In Rainer Wocheles neuer Novelle Der Flieger ist der Fall unmissverständlich: Der Freitod-Plan geht auf, und kurz davor pfeift dieser Mensch den bayerischen Defiliermarsch." Eine Novelle über den Selbstmord des 57-jährigen Sprengmeisters und Hobbyfliegers. [Weiter]


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Bernhard, Alte Meister

Wir wollen gar nicht mehr weiterleben, wenn wir den uns am nächsten stehenden Menschen verloren haben, so er damals im Ambassador, aber wir müssen weiterleben, wir bringen uns nicht um, weil wir zu feig dazu sind, wir versprechen noch am offenen Grab, daß wir bald nachfolgen werden und dann leben wir ein halbes Jahr später noch immer und es graust uns vor uns selbst. (Thomas Bernhard: Alte Meister, S. 247)



Green, Treibgut

Eine Zuflucht stand ihm offen. Nur der Übergang vom Leben zum Tod schien ihm schwierig. Er versuchte sich den Seelenzustand eines Menschen vorzustellen, der mutig genug wäre, bei diesem Nebel in den eiskalten Fluß zu springen und dann einige Minuten der gräßlichsten Erstickungskämpfe auf sich zu nehmen. Doch wenn die Grenze einmal überschritten ware, begann die glückselige Nacht der Auflösung. Er seufzte. Ein Gefühl des Heimwehs packte ihn beim Gedanken an diesen lichtlosen Horizont, und einen Augenblick träumte er davon, eine Hand in der Tasche, den Stock nachdenklich aufgestützt. Sein Leben war verfehlt; was er dem seinen vorzuwerfen hatte, war der Mangel an gründlichem Ernst. Obwohl er immer bedauerte, nicht bedeutend zu sein, obwohl er Geschmack an allem Schönen fand, lebte er häßlich, auf eine langweilige und zugleich frivole Art. (Julien Green: Treibgut, S. 268)


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Ablenkung und Aufhellung

Valéry erzählte mir, was ihm als jungem Mann in London zugestoßen war. Es regnete jeden Tag. Er war allein und elend in seiner schäbigen Bude und wie er andeutete, sehr arm. Eines Tages entschloß er sich, Selbstmord zu begehen, aber als er den Schrank öffnete, um seinen Revolver herauszunehmen, fiel ein Buch zu Boden, er hob es auf, setzte sich hin und las. Der Autor hieß Scholl, an den Titel konnte er sich nicht mehr erinnern. Es war ein humoristisches Buch, er las es durch und unterhielt sich dabei so gut, daß ihm jede Lust an Selbstmord vergangen war, als er es beendet hatte. Wie schade, daß Valéry sich nicht an den Titel erinnern konnte! Es gelang mir nicht einmal, den Namen Scholl in irgendeinem Katalog aufzustöbern. (Sylvia Beach: Shakespeare and Company. Ein Buchladen in Paris, Suhrkamp, S. 178)


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Damals im Kalten Krieg

Selbstmorde. Januar 1982. Vor Jahren hat man vom Massenselbstmord der Lemminge gesprochen, dieser rattenartigen Tiere, die sich in Scharen ins Meer stürzen, das durchaus nicht ihr Element ist. Man fand keine Ursache. Jetzt schwimmen Hunderte von Robben in Japan an Land, das nicht ihr Element ist. Die Japaner, die großen schlimmen Robbenfänger, treiben, ja jagen jetzt die Robben von der Küste zurück ins Meer. Vergeblich: sie schwimmen eigensinnig an Land, um dort zu sterben. Der Vergleich mit uns Menschen drängt sich auf. Wollen wir den Massenselbstmord durch die Nuklearwassen? Wollen wir keine Rettung mehr? Ist die Zeit, die unsere Gattung zur Verfügung hatte, abgelaufen? Sind wir zwangsläufig Todes-Süchtige? (Luise Rinser: Winterfrühling. 1979-1982, S. 192)


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Geklaut beim Salbader
Geklaut beim Salbader

Hinweis in eigener Sache
Das Weblog Freitod definiert schon mit seinem Namen das Thema, das es enthält: Aspekte des Suizids sollen in gesellschaftlicher, kultureller und wissenschaftlicher Hinsicht erörtert werden. Freitod ist ein kollaboratives Weblog, das allen registrierten Antville-Usern ermöglicht, sich zu beteiligen, indem sie entweder Einträge verfassen oder Kommentare zu den Einträgen schreiben können. Abgrenzend sei gesagt, dass nicht um Sinn und Daseinsberechtigung des Freitodes diskutiert werden soll und dass es sich auch nicht um ein Selbshilfeforum für Gefährdete oder betroffene Angehörigen handelt.

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