Freitod - Weblog zum Selbstmord
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Selbstmord in der Literatur

Das Thema des Freitodes findet man bei dem Schriftsteller Dostojewski nicht selten. Bei ihm steht der Freitod recht oft immer in einem religiösen Kontext.

Angeführt sei z.B. die Erzählung die Sanfte. (Dostojewski schreibt sie kurz nachdem im Oktober 1876 eine junge Näherin mit einer Ikone in den Händen aus dem Fenster sprang.) In der orthodoxen Lehre existiert selbst eine Ikone einer Selbstmörderin. Faktisch also eine heilig gesprochene Selbstmörderin. Es war die Heilige Pelageja. Sie soll die erste verfolgte Christin gewesen sein. Um nicht in heidnische Hände (im doppelten Sinne) zu fallen, suchte sie den Freitod. Man geht davon aus, dass Dostojewskis Sanfte die heilige Pelageja verkörpern soll. Im selben Zuge spielt wohl auch die Jungfräulichkeit eine entscheidende Rolle. Um rein zu bleiben, ist es wohl „in Ordnung“ sich selbst zu töten. Man tötet damit also auch Gott in sich. Somit hat man Gott gerettet und gilt als rein.

Im Roman „Die Dämonen“ gibt es die Episode „Stawrogins Beichte“. Sie handelt von einem Mädchen, das, vergewaltigt durch Stawrogin, sich selbst das Leben nimmt.

Möglich ist, dass Dostojewski bei allen Selbstmorden es immer noch als eine Art Beruhigung empfand, wenn mit einem Suizid Gott vor Schande bewahrt werden konnte. Somit stände Stawrogin nicht nur wegen Vergewaltigung und des "in den Suizid treibens" in Dostojewskis Missgunst, sondern auch noch als verantwortlich für den Tod Gottes eines Menschen. Weiterhin nimmt sich auch im Roman „Die Dämonen“ ein Kirillow das Leben. Dieser will mit seinem Suizid für sich selbst den Beweis erbringen, dass durch seinen Tod Gott nicht existieren kann, da er ansonsten mittels seinem freien Willen nicht über sich selbst bestimmen könnte.

Eine etwas holprige Anmerkung. Ich wollte halt darauf aufmerksam machen, dass sich die Auseinandersetzung mit Dostojewski in Sachen Freitod unter Umständen durchaus lohnen kann.

Bei eventuellem Interesse kann man sich hier näher über Dostojewski und sein Werk informieren: dostojewski.npage.de



Simenon: "Die Selbstmörder"

"Außer seinen 75 Maigret-Romanen hat Georges Simenon auch 140 andere geschrieben, in denen der Kommissar keine Rolle spielt. 50 von ihnen erscheinen nun in revidierter Übersetzung." meldet die FAZ in aller Kürze

Beim Perlentaucher ist der Roman noch nicht besprochen, dafür aber in einer vielversprechenden Anmerkung von Manfred Orlick bei Amazon.


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Bjørnstadt, Vindings Spiel

"Ich habe Angst, daß einer von ihnen weggehen könnte, auszieht, woanders leben will oder sich das Leben nimmt. Sie meinen es ernst, Mutter und Vater. ..."

""Jetzt mußt du ganz ruhig sein", sagt sie. Ich starre sie an. Ich friere, obwohl es warm ist im Zimmer. "Das war Marianne Skoog. Es ist vor zwei Stunden passiert. Anjas Vater hat sich im Keller seines Hauses im Elvefaret mit der Schrotflinte erschossen." ..."

Ketil Bjornstadt, Vindings Spiel (orig.: "Til musikken"), Seiten 8, 309, 341.


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Schlink, Wochenende

"Die Trauergäste warteten vor der Kirche. Sie begrüßten einander, erkannten sich wieder oder stellten sich vor, waren verlegen. Jedes Wort war falsch. Die Äußerungen der Anteilnahme waren bemüht, die ausgetauschten Erinnerungen blaß, und fragte einer nach dem Warum, wurde die Frage hilflos und irritiert abgewehrt. Jedes Wort war falsch, weil Jans Tod falsch war. Er hätte sich nicht umbringen, seine drei kleinen Kinder nicht zu Waisen und seine Frau nicht zur Witwe machen dürfen. Wenn man's mit Frau und Kindern nicht mehr aushält, läßt man sich scheiden. Sich umbringen, sich davonstehlen und Frau und Kinder mit Schuldgefühlen zurücklassen - es gehört sich nicht."

Bernhard Schlink, Das Wochenende, 2008, S. 18.


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Tellkamp, Turm

Clarens und er liefen vom Rektorat die Akademiestraße vor. Clarens sprach über Selbstmord. Er war ein international geachteter Selbstmordforscher und sagte manchmal, daß er das Glück gehabt habe, seiner Passion in diesem Land nachgehen zu dürfen, denn nur Österreich-Ungarn biete reichlicher Material. "Ach, ein Wiener Psychiater zu sein!" seufzte Clarens. Die k.u.k. Fälle zeichneten sich durch größeren Einfallstreichtum, eine Neigung zum Skurrilen und Entlegenen aus, während die Deutschen gewissermaßen quantitativ "Schluß machten", wobei Clarens hinter seinem Hals in die Luft griff und röchelnd die Zunge herausstreckte. Natürlich, auch Gastote mit ihrem friedlichen Gesicht und den kirschzarten Wangen; Spitzen im Mai und zu Weihnachten; natürlich Schlafmittel, vor allem bei Frauen, die Männern bevorzugten in der Regel härtere Methoden. Den Bohrhammer zum Beispiel, mitten ins Herz hinein. (Uwe Tellkamp: Der Turm, S. 704)


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Wenn jemand jung

Wenn einer jung stirbt - die Worte tauchten ganz plötzlich auf und gefroren in den Stromschnellen meiner Gedanken zu Kristallen -, wenn einer jung stirbt, dann ist daran jemand schuld. Das weißt du genau, sagte ich mir. Es war, als sei das Bild des flackernden Neonlichts auf meiner Netzhaut erstarrt. Immer. Besonders dann, wenn jemand sich in jungen Jahren umbringt. Meine Stimmung war mit der Launenhaftigkeit eines Wackelkontakts von Gelöstheit in Verzweiflung umgeschlagen, und das an einem so scheußlichen Ort wie der Herrentoilette in Heathrow. Ich brach in Tränen aus. (Tim Parks: Schicksal, S. 9)


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Schlußfolgerung

Wenn alle irdischen Güter, für die wir leben, wenn alle Freuden, die uns das Leben gewährt, Reichtum, Ruhm, Ehren, Macht, uns durch den Tod geraubt werden, haben diese Güter keinerlei Sinn. Wenn das Leben nicht unendlich ist, dann ist es ganz einfach absurd, ist es nicht wert, gelebt zu werden, und man muß sich seiner so schnell wie möglich durch Selbstmord entledigen. (Lew Tolstoj)



Gide, Vom Leben gesättigt

Ich bin nicht mehr sehr neugierig auf das, was mir das Leben noch bieten könnte. Ich habe das, was ich meinte, sagen zu müssen, mehr oder minder gut gesagt und fürchte mich zu wiederholen. Untätigkeit aber ist mir eine Last. Was mich immerhin davon abhielte, mich zu töten (obgleich ich Selbstmord nicht für tadelnswert halte), wäre der Umstand, daß gewisse Leute versuchen würden, in einer solchen Handlung eine Art Eingeständnis meines Bankrotts, das zwangsläufige Ende meines Irrens zu sehen. Andere würden denken, ich entzöge mich der "Gnade". Es wäre schwierig, klarzumachen, daß ich einfach vom Leben gesättigt bin und nicht mehr recht weiß, wie ich die kurze Zeit, die mir noch zu leben bleibt, anwenden soll. Anorexie. Grauenhaft, ausdrucksloses Anlitz des Überdrusses. Meine Anorexie kommt auch und vor allem von einem Rückgang der Säfte... (Andre Gide, in: Ida Cermak: Ich klage nicht. Begegnungen mit der Krankheit in Selbstzeugnissen schöpferischer Menschen, S. 131)


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Hesse, Anschuldigungen

Um noch einmal auf das für die Jugend so anziehende Thema des Selbstmordes zu kommen: Mehrmals habe ich Briefe von Lesern bekommen mit dem Bericht, sie seien gerade im Begriff gewesen, sich das Leben zu nehmen, da sei ihnen dies Buch in die Hände gefallen, habe sie befreit und aufgeklärt, und es gehe nun wieder aufwärts. Über das gleiche Buch aber, das so heilend wirken konnte, schrieb mir mit schwerer Anklage der Vater eines Selbstmörders: mein dreimal verfluchtes Buch habe zu denen gehört, die sein armer Sohn in seiner letzten Zeit noch auf dem Nachttisch habe liegen gehabt, und es allein sei verantwortlich zu machen für das Geschehene. Ich konnte zwar diesem empörten Vater erwidern, daß er sich die Verantwortlichkeit für seinen Sohn doch allzu leicht mache, wenn er sie auf das Buch abschiebe, aber es dauerte doch eine gute Weile, bis ich jenen Vaterbrief "vergessen" konnte, und man sieht ja, was für ein Vergessen es war. (Hermann Hesse: Sämtliche Werke, Bd. 14: Betrachtungen und Berichte. 1927-1961, S. 227)


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Bjoernstadt: Oda

Hier beim Perlentaucher, der die Rezension der Neue Zürcher Zeitung vom 17.08.2008 so zusammenfasst:

"Bemerkenswert nüchtern begegnet Ketil Björnstad in seinem Künstlerroman um die Malerin Oda Krohg den inszenierten Hysterien der legendären Boheme von Kristiania, die auch über die Grenzen Norwegens hinaus Eindruck machte, stellt Rezensent Peter Urban-Halle fest. Der Autor, 1952 nunmehr in Oslo geboren, schöpft seine Informationen über seine Heldin und ihren Kreis von Künstlern und Literaten aus den Romanen, Tagebüchern und vor allem den Briefen der Zeit und auch wenn es ihm damit einen anschaulichen Eindruck der überspannten Stimmung der Osloer Künstlerszene vermittelt, so hätte er ruhig etwas weniger extensiv zitieren dürfen, kritisiert Urban-Halle leise."

In der Tat finden sich wohl rund ein halbes Dutzend romantisch-verklärter und theatralisch inszenierter Selbstmordankündigungen, doch lediglich einer wird tatsächlich vollzogen ...


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Roth, Erdbeeren

"Die Leute erhängen sich so selten!" sagte er. "Der Geistliche jagt ihnen einen Schrecken ein. Sie kommen nicht in den Himmel. Woher weiß es der Pfaffe? Man ist im Leben eingesperrt und muß warten, bis Gott den Kerker aufschließt und man in die Freiheit kommt. Wenn aber jemand sich erhängt, auf einem schönen Fichtenbaum, im Sommer, wenn die Vögel zwitschern, der Himmel blau ist und die Fliegen summen, so jagen die Teufel die arme Seele in die Hölle. Wahrscheinlich aber ist das alles gar nicht wahr! Die Leute kommen in die Hölle, ob sie auf den Tod warten oder ob sie sich ihn holen! Es ist alle ganz gleich. (Joseph Roth: Erdbeeren)


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Schirach, Verbrechen

Selbst Mord kann Selbstmord provozieren:

"Als er eingeschlafen war, küsste sie seinen Nacken und ließ ihn unter Wasser gleiten. Leonhard atmete tief ein. Es gab keinen Todeskampf, das Luminal hatte seine Steuerungsfähigkeit ausgeschaltet. Seine Lungen füllten sich mit Wasser, er ertrank. Sein Kopf lag zwischen ihren Beinen, er hatte die Augen geschlossen, und seine langen Haare trieben an die Oberfläche. Nach zwei Stunden stieg sie aus der kalten Wanne, legte ein Handtuch über ihren toten Bruder und rief mich an. [...]

Am 24. Dezember war ich bis zum Ende der Besuchszeit bei ihr. Dann schlossen sich die Panzerglastüren hinter mir. Draußen hatte es geschneit, alles war friedlich, es war Weihnachten. Theresa wurde wieder in ihre Zelle gebracht, sie setzte sich an den kleinen Tisch und schrieb einen Brief an ihren Vater. Dann zerriss sie das Bettlaken, drehte es zu einem Seil und erhängte sich am Fenstergriff.

Am 25. Dezember erhielt Tackler einen Anruf von der diensthabenden Notstaatsanwältin. Nachdem er aufgelegt hatte, öffnete er den Tresor, nahm den Revolver seines Vaters, steckte sich den Lauf in den Mund und drückte ab. [...]"

Ferdinand von Schirach, Verbrechen, 13. Aufl. 2010, S. 56 ff., erste Auflage erst 8/2009, Besprechungen und weitere Informationen (inkl. Link zu einer langen Leseprobe der vollständigen ersten Geschichte) z.B. via buecher.de


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Lew Tolstoj: Eine Woche

Am Montag hab ich mich verliebt, Am Dienstag war ich ganz betrübt, Am Mittwoch hab ich ihrs gesagt, Am Donnerstag sie dann gefragt, Am Freitag kam sie: Abgewiesen! Am Samstag wollt ich mich erschießen. Am Sonntag dacht ich mir: ach nein! Und drum ließ ichs lieber sein." (Lew Tolstoj: Sämtliche Erzählungen, Bd 2., S. 309)


 

Geklaut beim Salbader
Geklaut beim Salbader

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