Freitod - Weblog zum Selbstmord
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Suizid in der Bibel

Kein Verbot des Selbstmords in der Bibel. Er wollte wohl glauben, daß diese Lisbeth Cresspahl beide Bücher der Heiligen Schrift ausgelesen hatte. Aber war es nicht lächerlich, eine Bürgerstochter, die Frau von Cresspahl bei theologischen Kniffeleien zu sehen. Gewiß hatte Samson den Tempel nicht nur über den vornehmen Philistern eingerissen, sondern auch über sich. Abimelech hatte seinen eigenen Tod besorgt, damit er der Schande entging, von einer Frau getötet worden zu sein. Ahithophel und Judas hatten sich erhängt. Siehe auch Apostelgeschichte 16,27; Offenbarung 9,6. Simri hatte sich verbrannt, und es war als eine Folge seiner Sünden gegen Gott erklärt. Es waren schließlich neun Stellen, die Brüshaver auf seinem Zettel notierte, statt die Predigt für den 24. April weiterzuschreiben. Er schlief darüber ein, und als Aggie ihn nach Mitternacht ins Bett holte, hatte er vergessen, was er im Seminar gelernt hatte: der Selbstmord sei nicht vor Menschen oder aus moralischen Gründen verwerflich; Selbstmord sei Abfall von Gott. (Uwe Johnson: Jahrestage 2)


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Lady Macbeth von Mzensk

Novelle von Nikolai Leskow:

"Katerina Lwowna zitterte. Ihre irren Blicke waren auf einen Punkt gerichtet. Sie hob einige Male die Arme, streckte sie vor sich aus und ließ sie wieder sinken. Noch einen Augenblick – und sie beugte sich, ohne die Augen von einer dunklen Woge zu wenden, vor, packte Ssonetka an den Beinen und sprang mit ihr über das Geländer der Fähre.

Alle waren vor Schreck wie erstarrt.

Katerina Lwowna erschien auf dem Kamme einer Woge und ging wieder unter; aus einer andern Welle tauchte Ssonetka auf.

»Den Bootshaken her! Werft den Bootshaken aus!« schrieen die Leute auf der Fähre.[214]

Der schwere Bootshaken flog am langen Strick durch die Luft und fiel ins Wasser. Von Ssonetka war wieder nichts zu sehen. Nach zwei Sekunden warf sie, von der Strömung um ein weites Stück von der Fähre fortgetrieben, beide Arme aus dem Wasser empor; in diesem Augenblick tauchte aus einer anderen Welle fast bis zu den Hüften Katerina Lwowna empor. Sie stürzte sich wie ein kräftiger Hecht über eine schwache Plötze auf Ssonetka, und beide kamen nicht mehr zum Vorschein."

Hier zu deutsch dokumentiert in einer Übersetzung aus dem Jahr 1921 bei zeno.org.


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Tukur - Das venezianische Bild

"... als Clara vierzig wurde, stand Carl vor der Türe des Cannstatter Hauses. Er war von einer langen Reise zurückgekehrt, die ihn nach Venedig, Paris, London und Antwerpern geführt hatte, und schenkte ihr zum Geburtstag ein kleines Gemälde, das ein Jahr zuvor in Venedig entstanden war. Es ist ein Nachtbild in biedermeierlicher Manier und zeigt einen elegant gekleideten Herrn im Gehrock und Zylinder, der auf dem Scheitelpunkt einer kleinen Brücke steht und in emphatischer Geste den Mond begrüßt. Mit einem Spazierstock in der Rechten, einem Blumenstrauß in der Linken, einer Nelke am Revers und einer Halsschleife über dem seidenen Gilet bannt ihn Carl in den Lichtstrahl des Trabanten, während die Häuser und Palazzi wie schwarze, aus den Tiefen emporgestiegene Ungeheuer an der Wasseroberfläche des Hintergrundes schlafen. Schaut man näher hin, so entdeckt man im Kanal unter der Brücke dahintreibende Gegenstände: einen Gehrock, einen Spazierstock, einen Blumenstrauß, eine blaue Halsschleife, eine Nelke, einen Zylinder... Welch fabelhafter Einfall! Carl stellt die Zeit und ihr Vergehen räumlich dar, indem er zwei Bilder in einem malt, zwei zeitlich voneinander abgesetzte Ebenen übereinanderlegt und so von einer Selbstausslöschung erzählt, die als unsichtbare Bewegung dazwischenliegt.

Clara hat das Wiedersehen tief erschüttert; unter Tränen fleht sie ihn an, wenigstens bis zum nächsten Morgen zu bleiben, doch er lehnt ab und besteigt noch selbigen Tags die Postkutsche nach München. Er wird sie nie wiedersehen, denn eine Wpche später wirft sich Clara von der Wilhelmsbrücke in den Neckar und ertrinkt."

Ulrich Tukur, Die Seerose im Speisesaal, Venezianische Geschichten, S.71 f., List-Verlag 2008.

Das Bild war danach Auslöser des Songs "Vecchio Frack" von Domenico Modugno:

hier der Text mit einer rudimentären, aber gleichwohl noch verständlichen Übersetzung.

Ulrich Tukur hat ihn übrigens auch selbst eingespielt, und zwar hier auf der CD "Mezzanotte".



"Das Holz für morgen"

"Er machte die Etagentür hinter sich zu. Er machte sie leise und ohne viel Aufhebens hinter sich zu. Obgleich er sich das Leben nehmen wollte. Das Leben, das er nicht verstand und in dem er nicht verstanden wurde. Er wurde nicht von denen verstanden, die er liebte. Und gerade das hielt er nicht aus, dieses Aneinandervorbeisein mit denen, die er liebte..."

Das Holz für morgen ist eine Kurzgeschichte von Wolfgang Borchert, die sich um den zur Selbsttötung entschlossenen Protagonisten dreht, der aus dem Krieg heimgekehrt mit Vereinsamung und Schuldgefühlen kämpft.

Es ist trotz seiner Kürze ein eindrucksvolles kleines Werk, das viele Kernfragen des Daseins literarisch anspricht - und auflöst. Wolfgang Borchert wurde übrigens nur 26 Jahre alt; er verstarb wohl an einem Leberleiden, nicht durch Suizid.


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Tukur, Die Spieluhr 4 - der General

"Der General war etwa zehn Meter von mir entfernt stehengeblieben und hatte sich ins Gras gekniet. Er hielt eine Pistole und starrte hinaus ins Land auf einen Punkt, der in dieser Welt gewiß nicht existierte. Dann führte er die Waffe zum Kopf und setzte sie an die Schläfe. Seine Hand zitterte, und seine Augen waren geschlossen. ..."

Ulrich Tukur, Die Spieluhr, Eine Novelle, S.84, List-Verlag 2014.



Tukur, Die Spieluhr 3 - der Major

"Der Major ist schon vor vielen Jahren freiwillig in den Tod gegangen. Wir haben ihn in unserer Familiengruft beigesetzt..." [...]

"Es ist Zeit, mein lieber Wilhelm", sagte er dann leise und beugte sich ins Licht hinein. Er reichte mir die Hand. In seinen Augen lagen Unruhe und Angst, aber auch gespannte Erwartung und die Freude , daß er nun in ein neues Leben eintrat, das ganz Musik war und sich im Klang einer neuen Zeit auflöste."

Ulrich Tukur, Die Spieluhr, Eine Novelle, S.30, 128 f., List-Verlag 2014.


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Schirach, Der Fall Collini

"Der Angeklagte Fabrizio Maria Collini hat sich in der vergangenen Nacht in seiner Zelle das Leben genommen..."

Ferdinand von Schirach, Der Fall Collini, Roman, Piper 2013, S. 191.


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Tukur, Die Spieluhr 2 - Jean-Luc

"Er machte eine lange Pause, dann räusperte er sich und sagte, daß man ihn kurz nach Ende der Dreharbeiten in einer Waldlichtung bei Aumont gefunden habe. Er hatte sich in einer alten Linde erhängt..."

Ulrich Tukur, Die Spieluhr, Eine Novelle, S.77, List-Verlag 2014.


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Tukur, Die Spieluhr 1 - Vialli

"Eines Tages verschwand diese Tänzerin auf mysteriöse Weise, und erst als der arme Vialli sich aus Gram über ihren Verlust in einen alten Baum gehängt hatte, tauchte sie wieder auf. Und das ist nun wirklich eine merkwürdige Geschichte..."

Ulrich Tukur, Die Spieluhr, Eine Novelle, S.72, List-Verlag 2014.


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Schirach, Tabu II

"[Biegler] zündete sich einen Zigarillo an, er schmeckte ihm nicht. "Wussten Sie, dass sich die meisten Selbstmörder in den Kopf schießen, wenn sie die Möglichkeit dazu haben? Nicht ins Herz - in den Kopf. Es ist das Entsetzen über sich selbst. Wir ertragen unsere eigene Schuld nicht. Wir schaffen es, jedem zu vergeben, unseren Feinden, den Verrätern, den Menschen, die uns betrüben. Nur bei uns selbst gelingt uns das nicht, wir können uns einfach nicht verzeihen. Daran scheitern wir: an uns selbst."

"... Was ist Schuld?" fragte Eschburg" ... Biegler zuckte mit den Schultern. "Schuld?", dachte er, "Schuld - das ist der Mensch." "

Ferdinand von Schirach, Tabu, Roman, Piper 2013, S. 212 f., 249.

(Schirach, Tabu I -> finden Sie hier).


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Williams, Stoner

"Drei Tage später war Horace Bostwick tot, Selbstmord. Er hatte morgens in ungewöhnlich guter Laune die Bank betreten und dabei mehrere Angestellte begrüßt, die noch hinter den geschlossenen Türen der Bank arbeiteten, war in sein Büro gegangen, nachdem er seiner Sekretärin mitgeteilt hatte, dass er keine Anrufe entgegennehmen würde, um dann die Tür hinter sich zuzuziehen. Gegen zehn Uhr vormittags schoss er sich schließlich mit einem tags zuvor gekauften Revolver in den Kopf. Er hinterließ kein Schreiben, doch verrieten die sorgsam auf dem Tisch angeordneten Papiere, was er zu sagen hatte. Und sie verrieten, dass er finanziell schlechterdings ruiniert war. Wie sein Bostoner Vater hatte er unklug investiert, allerdings nicht nur eigenes Geld, sondern auch das der Bank. Sein Bankrott war so umfassend, dass er keinen anderen Ausweg sah. Erst später stellte sich heraus, dass sein Ruin keineswegs so vollständig gewesen war, wie er es im Augenblick seines Selbstmords geglaubt hatte...

Edith trug es mit Fassung, beinahe, als hätte sie damit gerechnet...

John Williams, Stoner, Deutsche Erstausgabe 2013, S.140, dtv-Verlag.


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Schirach, Tabu

"Nur die Schreibtischlampe brannte, neben ihr lag eine Pappschachtel mit Munition, Schrotpatronen mit hellroten Hülsen, Kaliber 12/70. Sebastian ging vorsichtig um den Schreibtisch herum. Vaters Tweedanzug war an Armen und Knien schon dünn, das grüne Taschentuch hing aus der Brusttasche. Sein linkes Bein lag auf dem umgestürzten Stuhl, der Absatz des Schuhs war heruntergetreten, die Nägel waren sichtbar. Der Vater hatte keinen Kopf mehr. Die Wucht der zwölf Bleikugeln hatte sein Gesicht weggerissen und das Schädeldach abgehoben..."

Ferdinand von Schirach, Tabu, Roman, Piper 2013, S. 35 f.


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Irving, In einer Person

Nils Borkman pflegte die Selbstmordgefährdeten unter seinen Landsleuten gerne als "Fjordspringer" zu bezeichnen. Offenbar bot Norwegens Fjordreichtum überreichlich Gelegenheit zu praktischen und sauberen Selbstmorden. (John Irving: In einer Person)


 

Geklaut beim Salbader
Geklaut beim Salbader

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Das Weblog Freitod definiert schon mit seinem Namen das Thema, das es enthält: Aspekte des Suizids sollen in gesellschaftlicher, kultureller und wissenschaftlicher Hinsicht erörtert werden. Freitod ist ein kollaboratives Weblog, das allen registrierten Antville-Usern ermöglicht, sich zu beteiligen, indem sie entweder Einträge verfassen oder Kommentare zu den Einträgen schreiben können. Abgrenzend sei gesagt, dass nicht um Sinn und Daseinsberechtigung des Freitodes diskutiert werden soll und dass es sich auch nicht um ein Selbshilfeforum für Gefährdete oder betroffene Angehörigen handelt.

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