Freitod - Weblog zum Selbstmord
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Bov Bjerg, Serpentinen

"Um was geht es?

Er sei ausgewandert, im Jahr 1900. Habe Frau und Kinder im Havelland gelassen und sei einfach fort. Seine Holzpantinen habe man in der Elbe gefunden. [...]

Viel später war ich in Hamburg und ging die Passagierlisten durch. In Bremerhaven. Auf Ellis Island. Ich fand den Großvater nicht.

Er war nicht ausgewandert. Er hatte sich einfach das Leben genommen. Wie der Großvater und wie der Vater. [...]

Urgroßvater, Großvater, Vater. Ertränkt, erschossen, erhängt. Zu Wasser, zu Lande und in der Luft. Pioniere. Ich war noch am Leben. Vor Angst schlief ich ein. ..."

Bov Bjerg, Serpentinen, Roman, 2020, Seite 1.

Rezensionen hier bei Perlentaucher.de.

Ich bin gespannt auf den Roman. Was mich an dieser Stelle besonders freut, ist, dass mit Bov Bjerg jemand Erfolg hat, der lange Jahre vor dem großen Durchbruch hier gebloggt hat. In einer Zeit, als das noch relatives "Neuland" war, und die Gedankensplitter Eier, Erbsen, Schleim und Zeugs hießen, wo Stolz herrschte, wenn bei Google zum Stichwort "Schleim" das Blog auf Nr. 1 der Ergebnisliste erschien; der erste Beitrag entstammt aus dem Jahr 2002.


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Unter Verschluss

Ellen von den Driesch: Unter Verschluss. Eine Geschichte des Suizids in der DDR 1952–1990, Frankfurt: Campus-Verlag, 2021. ISBN 978-3-593-51329-4.



Radetzkymarsch III

"»Hierbleiben!« wiederholten die Offiziere. Die durstigen Männer aber waren nicht zu halten. Einzeln zuerst, dann in Gruppen, liefen die Männer den Abhang hinan; Schüsse knallten, und die Männer fielen. Die feindlichen Reiter jenseits des Bahndammes schossen auf die durstigen Männer, und immer mehr durstige Männer liefen dem tödlichen Brunnen entgegen. Und als sich der zweite Zug der zweiten Kompanie dem Brunnen näherte, lag schon ein Dutzend Leichen auf dem grünen Abhang.

»Zug halt!« kommandierte Leutnant Trotta. Er trat seitwärts und sagte: »Ich werde euch Wasser bringen! Daß keiner sich rührt! Hier warten! Eimer her!« Man brachte ihm zwei Eimer aus wasserdichtem Leinen von der Maschinengewehrabteilung. Er nahm beide, je einen Eimer in jede Hand. Und er ging den Abhang hinauf, dem Brunnen zu. Die Kugeln umpfiffen ihn, fielen vor seinen Füßen nieder, flogen an seinen Ohren vorbei und an seinen Beinen und über seinen Kopf hinweg. Er beugte sich über den Brunnen. Er sah auf der anderen Seite, jenseits des Abhangs, die zwei Reihen der zielenden Kosaken. Er hatte keine Angst. Es fiel ihm nicht ein, daß er getroffen werden könnte wie die anderen. Er hörte schon die Schüsse, die noch nicht gefallen waren, und gleichzeitig die ersten trommelnden Takte des Radetzkymarsches. Er stand auf dem Balkon des väterlichen Hauses. Unten spielte die Militärkapelle. Jetzt hob Nechwal den schwarzen Taktstock aus Ebenholz mit dem silbernen Knauf. Jetzt senkte Trotta den zweiten Eimer in den Brunnen. Jetzt schmetterten die Tschinellen. Jetzt hob er den Eimer hoch. In jeder Hand einen vollen, überquellenden Eimer, von den Kugeln umsaust, setzte er den linken Fuß an, um hinabzugehen. Jetzt tat er zwei Schritte. Jetzt ragte gerade noch sein Kopf über den Rand des Abhangs.

Jetzt schlug eine Kugel an seinen Schädel. Er machte noch einen Schritt und fiel nieder. Die vollen Eimer wankten, stürzten und ergossen sich über ihn. Warmes Blut rann aus seinem Kopf auf die kühle Erde des Abhangs. Von unten her riefen die ukrainischen Bauern seines Zuges im Chor: »Gelobt sei Jesus Christus!«"

Josph Roth, Radetzkymarsch, 21. Kapitel.


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Radetzkymarsch II

"Im Laufe der Jahre hatte der Hauptmann einen schwer übersichtlichen, äußerst verworrenen Kriegsplan ersonnen, in dem keine Methode, das Glück zu zwingen, außer acht gelassen war: weder die Mittel der Beschwörung noch die der Gewalt, noch die der Überrumpelung, noch die des flehentlichen Gebets und der liebestollen Lockung. Einmal mußte sich der arme Hauptmann, sobald er ein Cœur erwünschte, verzweifelt stellen und der Unsichtbaren im geheimen versichern, daß er, käme sie nicht bald, heute noch Selbstmord begehen würde; ein anderes Mal hielt er es für aussichtsreicher, stolz zu bleiben und so zu tun, als sei ihm die Heißersehnte vollkommen gleichgültig. Ein drittes Mal mußte er, um zu gewinnen, mit eigener Hand die Karten mischen, und zwar mit der Linken, eine Geschicklichkeit, die er mit eisernem Willen nach langen Übungen endlich erworben hatte; und ein viertes Mal war es nützlicher, an der rechten Seite des Bankhalters Platz zu nehmen. In den meisten Fällen allerdings galt es, alle Methoden miteinander zu verbinden oder sie sehr schnell zu wechseln, und zwar so, daß die Mitspieler es nicht erkannten. … Doch! Er kommt! Die Tür geht auf, und Wagners Augen leuchten! Er gibt Trotta gar nicht die Hand! Seine Finger zittern. Alle Finger gleichen ungeduldigen Räubern. Im nächsten Augenblick pressen sie schon einen herrlichen, knisternden Umschlag. »Setz dich hin!« befahl der Hauptmann. »In einer halben Stunde spätestens siehst du mich wieder!« Und er verschwand hinter dem grünen Vorhang. Die halbe Stunde verging, noch eine Stunde und noch eine. Es war schon Abend, die Lichter brannten. Der Hauptmann Wagner kam langsam näher. Er war höchstens noch an seiner Uniform zu erkennen, und auch diese hatte sich verändert. Ihre Knöpfe standen offen, aus dem Kragen ragte das schwarze Halsband aus Kautschuk, der Säbelgriff steckte unter dem Rock, die Taschen blähten sich, und Zigarrenasche lag verstreut auf der Bluse. Auf dem Kopf des Hauptmanns ringelten sich die Haare des braunen, zerstörten Scheitels, und unter dem zerzausten Schnurrbart standen die Lippen offen. Der Hauptmann röchelte: »Alles!« und setzte sich. Sie hatten einander nichts mehr zu sagen. Ein paarmal machte Trotta den Versuch, eine Frage zu tun. Wagner bat mit ausgestreckter Hand und gleichsam ausgestreckten Augen um Stille. Dann erhob er sich. Er ordnete seine Uniform. Er sah ein, daß sein Leben keinen Zweck mehr hatte. Er ging jetzt hin, um endlich Schluß zu machen. »Leb wohl!« sagte er feierlich – und ging. Draußen aber umfächelte ihn ein gütiger, schon sommerlicher Abend mit hunderttausend Sternen und hundert Wohlgerüchen. Es war schließlich leichter, nie mehr zu spielen, als nie mehr zu leben. Und er gab sich sein Ehrenwort, daß er nie mehr spielen würde. Lieber verrecken als eine Karte anrühren. Nie mehr! Nie mehr war eine lange Zeit, man kürzte sie ab. Man sagte sich: bis zum 31. August kein Spiel! Dann wird man ja sehen! Also, Ehrenwort, Hauptmann Wagner! Und mit frisch gesäubertem Gewissen, stolz auf seine Festigkeit und froh über das Leben, das er sich soeben selbst gerettet hat, geht der Hauptmann Wagner zu Chojnicki. Chojnicki steht an der Tür. Er kennt den Hauptmann lange genug, um auf den ersten Blick zu sehen, daß Wagner viel verloren und wieder einmal den Entschluß gefaßt hat, kein Spiel mehr anzurühren. … Eines Tages besuchte ihn der Hauptmann Wagner, saß lange am Bett, ließ hier und da ein Wort fallen, stand auf und setzte sich wieder. Schließlich zog er seufzend einen Wechsel aus dem Rock und bat Trotta zu unterschreiben. Trotta unterschrieb. Es waren fünfzehnhundert Kronen. Kapturak hatte ausdrücklich Trottas Garantie gefordert. Hauptmann Wagner wurde sehr lebhaft, erzählte eine ausführliche Geschichte von einem Rennpferd, das er preiswert zu kaufen gedachte und das er in Baden laufen lassen wollte, fügte noch ein paar Anekdoten hinzu und ging sehr plötzlich weg. Zwei Tage später erschien der Oberarzt bleich und bekümmert an Trottas Bett und erzählte, daß Hauptmann Wagner tot sei. Er hatte sich im Grenzwald erschossen. Er hinterließ einen Abschiedsbrief an alle Kameraden und einen herzlichen Gruß für Leutnant Trotta. … Sie hoben die Köpfe und sahen sich an und ließen die Köpfe wieder sinken. So waren sie schon einmal zusammengesessen, nach dem Selbstmord Hauptmann Wagners. Jeder von ihnen dachte an den Vorgänger Hauptmann Jedliceks, den Hauptmann Wagner, jeder von ihnen wünschte heute, auch Jedlicek hätte sich erschossen. Und jedem kam plötzlich der Verdacht, daß sich auch ihr toter Kamerad Wagner vielleicht nur erschossen hatte, weil er sonst verhaftet worden wäre..."

Josph Roth, Radetzkymarsch, diverse Kapitel.


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Radetzkymarsch

"Er war neugierig, der Graf Chojnicki. Keine andere Leidenschaft als die Neugierde schickte ihn auf Reisen in die weite Welt, fesselte ihn an die Tische der großen Spielsäle, schloß ihn hinter die Türen seines alten Jagdpavillons, setzte ihn auf die Bank der Parlamentarier, gebot ihm jeden Frühling die Heimkehr, ließ ihn seine gewohnten Feste feiern und verstellte ihm den Weg zum Selbstmord. Lediglich die Neugierde erhielt ihn am Leben. Er war unersättlich neugierig."

Josph Roth, Radetzkymarsch, elftes Kapitel


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Noruwei no mori - Norwegian Wood - Naokos Lächeln

ist ein Roman des japanischen Schriftstellers Haruki Murakami:

"Toru Watanabe ist ein ruhiger und ernster junger Mann in den späten 1960er Jahren der Studentenrevolten in Tokio. Sein persönliches Leben gerät nach dem Verlust seines besten Freunds Kizuki, der aus unerklärlichen Gründen Selbstmord begangen hat, in Aufruhr. Toru tritt in eine Tokioter Universität ein, um seinem bisherigen Leben zu entfliehen. Durch Zufall trifft er bei einem Spaziergang Kizukis Ex-Freundin Naoko, und sie kommen einander näher. Toru, Naoko und Kizuki kannten sich schon seit ihrem dritten Lebensjahr, und sie verband eine innige Liebe und Vertrautheit. Naoko ist immer noch durch den Verlust von Kizuki am Boden zerstört und in tiefer Depression.

Toru schläft mit Naoko an ihrem 20. Geburtstag [, die aber auch dabei keine erotischen Gefühle für ihn entwickelt]. Kurz darauf geht Naoko in ein Sanatorium in der Nähe von Kyoto, das in einer abgelegenen Waldlandschaft liegt. Toru wird von dieser Situation gequält, da er noch tiefe Gefühle für Naoko hegt, die sie aber nicht in der Lage ist, zu erwidern. Toru sieht überall den Einfluss des Todes auf sein Leben, während Naoko sich fühlt, als sei ein wesentlicher Bestandteil von ihr für immer verloren gegangen.

Toru setzt sein Studium fort, und im Frühjahrssemester trifft er die attraktive Kommilitonin Midori, die alles verkörpert, was Naoko nicht ist: extrovertiert, lebhaft und äußerst selbstbewusst. Die Geschichte begleitet nun Toru, wie er zwischen den beiden Frauen in seinem Leben hin- und hergerissen ist und zwischen seiner Vergangenheit und seiner Zukunft wählen muss."

Quelle: Wikipedia, Stand 16.01.2018 mit einer Ergänzung d.V. zu Beginn des 2. Absatzes.

Naokos Suizid nimmt ihm diese Wahl ab. Das Thema dieses Weblogs als Gegenpol zum positiven Leben durchzieht den Roman noch öfter...

Er wurde 2010 mit durchwachsenen Kritiken verfilmt und dieser Tage, nämlich am 10.01.2018 wieder bei 3sat ausgestrahlt. Zudem ist eine aktuelle, südkoreanische Neuverfilmung unter dem Titel "Burning" mit Steven Yeun in der Hauptrolle angekündigt. (Eintrag in der englischsprachigen Wikipedia im Aufbau).

Der namensgebende Beatles-Song dürfte nicht nur den Roman, sondern auch so manche Szene des Films - und den Titel der Neuverfilmung - inspiriert haben, deshalb:


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Salome, Oscar Wilde

"Salome. Ich will deinen Mund küssen, Jochanaan. Ich will deinen Mund küssen. Der junge Syrier. Prinzessin, Prinzessin, die wie ein Garten von Myrrhen ist, die die Taube aller Tauben ist, sieh diesen Mann nicht an, sieh ihn nicht an. Sprich nicht solche Worte zu ihm. Ich kann es nicht ertragen . . . Prinzessin, spricht nicht solche Dinge. Salome. Ich will deinen Mund küssen, Jochanaan. Der junge Syrier. Ah! Er tötet sich und fällt zwischen Salome und Jochanaan."

Oscar Wilde, Salome, Tragödie in einem Akt, zitiert nach der Übersetzung von Hedwig Lachmann, erschienen in der Ausgabe des Insel Verlags (Insel Bücherei Nr. 247), 14. Aufl. 1990, S. 24.

Hier nachzulesen im Libretto der Oper von Richard Strauss: Narraboth.


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"Of Suicide"

"... Has not every one, of consequence, the free disposal of his own life? And may he not lawfully employ that power with which nature has endowed him?

In order to destroy the evidence of this conclusion, we must shew a reason, why this particular case is excepted. Is it because human life is of so great importance, that it is a presumption for human prudence to dispose of it? But the life of man is of no greater importance to the universe than that of an oyster..."

Essay I of Two, 1757 by David Hume; zu deutsch lautet die Textstelle etwa:

"... hat folglich nicht jeder die freie Verfügung über sein Leben? Und kann er nicht mit vollem Recht von der Macht, welche ihm die Natur verliehen hat, Gebrauch machen?

Um die Beweiskraft dieses Schlusses zu vernichten, müßte ein Grund aufgezeigt werden, weshalb dieser spezielle Fall ausgenommen ist. Ist es deshalb, daß menschliches Leben so große Bedeutung hat, daß es für menschliche Einsicht zu anmaßend ist, darüber zu verfügen? Aber das Leben eines Menschen hat für das Weltall nicht größere Bedeutung als das einer Auster..."

hier in der Übersetzung von Friedrich Paulsen, 1905, wiedergegeben - eine neuere Übersetzung von Lothar Kreimendahl aus dem Jahr 1984 ist noch nicht gemeinfrei.

Der Aufsatz lohnt insgesamt - er untersucht die Frage, ob es ein Suizidverbot oder womöglich umgekehrt sogar ein Recht auf Selbstmord gibt, von folgender Überlegung aus:

"Wenn Selbstmord ein Verbrechen ist, so muß er eine Übertretung unserer Pflicht gegen Gott, gegen unsere Nächsten oder gegen uns selbst sein..." (Hume/Paulsen, a.a.O.).



Viktor Staudt

bewirbt derzeit sein Buch "Die Geschichte meines Selbstmords: und wie ich das Leben wiederfand", das gerade in deutscher Sprache erschienen ist, u.a. z.B. hier in der WDR-Talkshow Kölner Treff.

Seine Geschichte ist - naturgemäß schon thematisch - tragisch, für die Presse umso mehr ein gefundenes Fressen, als er beim Sprung vor den Zug beide Beine verlor.

Seine Beweggründe für das Buch: "Falls nur ein einziger Mensch sich nach der Lektüre dieses Buch entscheidet, Hilfe zu suchen, anstatt Hand an sich zu legen, habe ich mein Ziel erreicht“.

Allein, ob ihm das so gelingt, wie er sich das vorstellt, ob das intentional hochgelobte Werk diesem Anspruch gerecht werden kann? Marianne Kestler, die das Buch in einem Kommentar bei Amazon vorab auch inhaltlich zusammengefasst hat, sieht das kritisch. Eine weitere, pseudonyme Kommentatorin fasst Zweifel und Bedenken noch deutlicher:

"... Trotzdem muss ich einen großen Kritikpunkt anbringen, den aber nicht der Autor (sondern wohl vielmehr der Verlag) verschuldet: Auf das Buch wird man aktuell aufmerksam über die zahlreiche Berichterstattung in der Presse. Dort wird das Buch quasi als Wachmacher gegen Suizid hochgelobt, Stichwort: Papageno-Effekt. Genauso, wie der Werther-Effekt [...] dazu führen soll, dass mediale Berichterstattung oder generalle Exposition mit dem Thema Suizid eine statisch signifikant erhöhte Suizidrate nach sich zieht, so sollen positive Berichte über überwundene Suizidalität den gegenteiligen Effekt haben. Am Buchenende lobt ein Prof. Dr. Siegfried Kasper von der Medizinischen Universität Wien (raten Sie mal, wer den Begriff 'Papegeno-Effekt' in Umlauf gebracht hat? Richtig - selbige Uni) das Buch noch mal über den Klee und beschreibt es als, Zitat: "Exzellentes Beispiel für den Umgang mit der Erkrankung Suizidalität und der damit in Verbindung stehenden Depression. Mehr noch: Es zeigt, wie man Menschen und deren Angehörigen in dieser verzweifelten Krisensituation helfen kann."

Schöne Worte, aber nicht angebracht: Von "exzellentem Umgang" kann hier keine Rede sein. Eine konkrete Beschreibung der letztendlichen Lösung erfolgt gerade mal ab Position 95% des Buchs (Kindle lässt grüßen ...): Als Viktor bei einer Hausärztin endlich ein für ihn wirksames Antidepressivum verschrieben bekam. Auch die Diagnose Borderline, die angeblich für die Depressionen mitursächlich ist, kommt in meinen Augen ein klein wenig vage daher - Staudt zeigt zwar immer wieder Teile davon, aber tun wir das nicht alle? Gut: Das Buch sollte natürlich nicht zur Fremddiagnose oder Spekulation einladen. Letzten Endes dient eine Diagnose ja auch nur dazu, einen geeigneten Behandlungsplan zu entwerfen. Dieser fehlt aber irgendwie: Wie's psychotherapeutisch weitergeht, etc., da findet man wenig bis gar nichts. Fast schon zynisch mutet deshalb der Schluss-Satz des Hauptwerks an, in dem der Autor über sich selbst schreibt: "Und er lebte noch lange, glücklich und zufrieden."

Kurzum: Das Buch ist wirklich toll geschrieben und erzählt die Geschichte eines Mannes, der trotz seiner zahlreichen inneren Dämonen weitaus mehr Kraft und Energie hat, als er wohl selbst merkt. Man möchte ihm zum Schluss hin fast schon Mut zusprechen und von Herzen alles Gute für seinen weiteren Lebensweg wünschen - verdient hat er es! Für Menschen, die in einer akuten Krise stecken und sich mit suizidalen Gedanken herumschlagen, betrachte ich das Buch [aber] als völlig kontraindiziert...

Die Lektüre ist jedenfalls und sicherlich keine "Aufbauliteratur", das "neue" Leben vielleicht für den Autor eine Besserung gegenüber seiner früheren, chronischen Suizidalität. Gesunde Lebensfreude sieht meiner Meinung nach gleichwohl anders aus. Es verbleibt ein wenig der Eindruck: "Nimm rechtzeitig das richtige Antidepressivum und das Problem ist im Wesentlichen gelöst..." - dabei hat die Aufarbeitung durch den Autor jedenfalls in literarischer Form wohl tatsächlich erst begonnen: Nach seiner Antwort auf diese kritische Anmerkung [die offenbar zwischenzeitlich gelöscht ist: Stand 15.11.2014, dazu die Kommentare unten] ist eine Fortsetzung offenbar bereits in Arbeit.



André Bernheim

"Ende November checkte ein altes Ehepaar im Pariser Hotel „Lutetia“ ein, das sehr schön im sechsten Arrondissement gelegen ist und als besonders romantisch gilt. Am nächsten Morgen wurden die beiden in ihrem Zimmer tot aufgefunden, Hand in Hand, ihre Körper waren noch warm [...]

Emmanuèle Bernheim, 58, erzählt mir von dieser Geschichte, über die sie in der Zeitung gelesen hat. Sie hat ihre eigene Erfahrung damit gemacht, wie kompliziert es sein kann, wenn ein alter Mensch beschließt, nicht mehr weiterleben zu wollen. Ihr Buch „Alles ist gutgegangen“, das jetzt auf Deutsch erscheint, handelt vom Selbstmord ihres Vaters - und liest sich komischer, rasanter und spannender, als man bei diesem Thema meinen sollte..."

Johanna Adorján für faz.net.


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"Selbstmord im Dritten Reich"

von Christian Goeschl, im Suhrkamp-Verlag erschienen, vielfach positiv besprochen und vom Verlag auf eine feine Leseprobe verlinkt.


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Rede eines Selbstmörders kurz vor der Tat aufgesetzt.

Freunde! Ich stehe jetzo vor der Decke im Begriff sie aufzuziehen, um zu sehen ob es hinter derselben ruhiger sein wird als hier. Es ist dieses keine Anwandlung einer tollen Verzweiflung, ich kenne die Kette meiner Tage aus den wenigen Gliedern die ich gelebt habe zu wohl. Ich bin müde weiter zu gehen, hier will ich ganz ersterben oder doch wenigstens über Nacht bleiben. Hier nimm meinen Stoff wieder, Natur, knete ihn in die Masse der Wesen wieder ein, mache einen Busch, eine Wolke, alles was du willst aus mir, auch einen Menschen, aber mich nicht mehr. Dank sei es der Philosophie, daß mich jetzo keine fromme Possen in dem Zug meiner Gedanken stören. Genug ich denke, ich fürchte nichts, gut, also weg mit dem Vorhang!"

Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher B 205/209.


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Hoch dezidierte Betrachtung

Ich möchte auf einen, nach meinem Dafürhalten, grandiosen Text hinweisen. Es handelt sich um die Antrittsvorlesung von Ralf Stoecker, die da lautet: „Ein wirklich ernstes philosophisches Problem - Philosophische Reflexionen über den Suizid“

Er handelt das Thema unter folgenden Prämissen ab:

  1. Muss man Suizid begehen?
  2. Darf man Suizid begehen?
  3. Will man Suizid begehen?
  4. Kann man Suizid begehen?

Absolut lesenswert. Ich hatte bis dahin nichts Ähnliches gelesen. Wer den Link nicht ansieht, wird es nicht bedauern. Wer ihn aber angeklickt hat, weiß, dass er etwas zu bedauern gehabt hätte, wenn er ihn nicht angeklickt hätte. ;-) Der Link:

www.uni-potsdam.de


 

Geklaut beim Salbader
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Hinweis in eigener Sache
Das Weblog Freitod definiert schon mit seinem Namen das Thema, das es enthält: Aspekte des Suizids sollen in gesellschaftlicher, kultureller und wissenschaftlicher Hinsicht erörtert werden. Freitod ist ein kollaboratives Weblog, das allen registrierten Antville-Usern ermöglicht, sich zu beteiligen, indem sie entweder Einträge verfassen oder Kommentare zu den Einträgen schreiben können. Abgrenzend sei gesagt, dass nicht um Sinn und Daseinsberechtigung des Freitodes diskutiert werden soll und dass es sich auch nicht um ein Selbshilfeforum für Gefährdete oder betroffene Angehörigen handelt.

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